piwik no script img

G20-Ausschuss stellt sich

Zehn Monate nach den Ausschreitungen am Gipfel-Wochenende kommen zum ersten Mal die HamburgerInnen zu Wort. Eins wird schnell klar: Sie fühlen sich im Stich gelassen

Foto: Kirche wird zur politischen Bühne: G20-Sonderausschuss trifft HamburgerInnen Foto: Malte Christians/dpa

Von Marthe Ruddat

Um kurz vor 17 Uhr öffnet sich die Holztür der Kulturkirche Altona. Rund 200 Leute strömen hinein. An den Türen ist Sicherheitspersonal positioniert. Wer rein will, wird kritisch beäugt. Am Ende des langen Kirchengangs wartet kein Pastor. Stattdessen sind weiße Tische in U-Form aufgestellt. Darauf stehen die Namensschilder der Abgeordneten.

Da, wo sonst Gottesdienste und Konzerte stattfinden, hat der G20-Sonderausschuss am Donnerstagabend zur öffentlichen Anhörung geladen. Mehr als zehn Monate nach dem Treffen der Wirtschaftsmächte in den Messehallen und den schweren Ausschreitungen in der Sternschanze und an der Elbchaussee haben die HamburgerInnen zum ersten Mal die Gelegenheit, dem rot-grünen Senat und den Ausschussmitgliedern ihre Sicht auf das Gipfel-Wochenende zu schildern.

Eine von denen, die diese Gelegenheit nutzt, ist Barbara Haarmann. Um vor den Abgeordneten sprechen zu dürfen, muss sie ihren Namen auf einen Zettel schreiben und den Organisatoren geben. Sie ist als Sechste dran.

Haarmann ist Vorsitzende des Jesus-Centers. Die dunkelhaarige Frau erzählt von der Nacht vom 6. auf den 7. Juli. Jene Nacht, in der Geschäfte in der Schanze geplündert werden, Barrikaden brennen und die Polizei stundenlang nicht eingreift. Das Jesus-Center hat seine Räume für Jugend- und Sozialarbeit links und rechts neben der Filiale der Hamburger Sparkasse im Schulterblatt, die komplett ausbrennt. Als Haarmann bemerkt, dass es in der Sparkasse brennt, ruft sie die Feuerwehr: „Wir haben um Hilfe gebeten und die Hilfe kam nicht“, erinnert sie sich.

Haarmann steht am Mikrofon und beschreibt mit fester Stimme, wie die MitarbeiterInnen des Jesus-Centers, die zum Teil auf Hilfe angewiesenen Menschen aus dem Gebäude in Sicherheit bringen. Sie beschreibt, wie Demonstranten, die als freiwillige Sanitäter unterwegs sind, die Fensterscheiben und Glastüren des Jesus-Centers einwerfen, um zu sehen, ob noch jemand in Gefahr ist. „Das waren die Menschen, die Verantwortung übernommen haben und versucht haben, Menschen zu retten“, beendet Haarmann ihre Rede.

Sie erntet Applaus vom Publikum in den Kirchenbänken und auf den extra dazugestellten Stühlen, so wie fast alle RednerInnen. Dass der Vorsitzende des G20-Sonderausschusses, Milan Pein (SPD), vorher darum gebeten hatte, auf derlei „Emotionen“ und Zustimmungsbekundungen in dieser offiziellen Anhörung zu verzichten, interessierte nicht. Manche RednerInnen können oder wollen ihre Emotionen nur schwer zurückhalten. Einer Frau aus St. Pauli kommen die Tränen, als sie schildert, wie PolizistInnen einen Journalisten in einem Imbiss angreifen, während er etwas gegessen habe. „Junge Menschen haben ihren Kopf für die Demokratie hingehalten und wurden verletzt und bis heute nicht entschädigt“, sagt sie.

Die Frage nach der Verantwortung für das, was in der Schanze und drumherum passiert ist, steht an diesem Abend in Altona immer wieder im Raum. Als Axel Bühler, ehemaliges Bürgerschaftsmitglied der Grün-Alternativen Liste, ans Mikrofon tritt, übt auch er harsche Kritik an Polizei und Politik und fordert Konsequenzen. Es habe eine ganze Kette von Fehlentscheidungen gegeben. „Es wurde auf dicke Hose gemacht und gekniffen, allein dafür gehört man normalerweise rausgeschmissen“, sagt Bühler.

Das sehen auch die Vertreter des Stadtteilbeirats Sternschanze so, einer von ihnen ist Henning Brauer. Vor Beginn des Gipfels habe es mehrere Gespräche gegeben, in denen die AnwohnerInnen auf mögliche Gefahren hingewiesen wurden, wie beispielsweise auf das Baugerüst im Schulterblatt. Von diesem aus sollen laut Polizei am 6. Juli Gegenstände auf die Straße geworfen worden sein – Stunden später rückt das SEK an und räumt das Gerüst. „Sie haben das alles ignoriert und nun möchte niemand dafür die Verantwortung übernehmen“, sagt Brauer. Er darf, wie auch andere RednerInnen an diesem Donnerstagabend, mehrfach das Wort ergreifen. Die Redezeit pro Beitrag ist auf drei Minuten beschränkt.

„Wir haben um Hilfe gebeten und die Hilfe kam nicht“

Barbara Haarmann, Vorsitzende vom Jesus-Center

Einer der freiwilligen Sanitäter, die bei den Demonstrationen gegen den G20-Gipfel im Einsatz waren, erhält als Letzter das Wort. Er möchte entgegen des Protokolls seinen Namen nicht nennen. Und er entscheidet sich für das Mikro, das hinter den Kameras für die Liveübertragung der Sitzung auf der Website der Bürgerschaft platziert ist.

Der Sanitäter kritisiert das Vorgehen der Polizei. „Warum greift ein Wasserwerfer Sanitäter mit Wasser und Reizgas an, während diese eine bewusstlose Person behandeln?“, will der Mann unter anderem wissen. Konkrete Frage, aber auf konkrete Antworten wird er noch warten müssen, vielleicht bekommt er auch gar keine. Man nehme alle Aussagen der BürgerInnen aus dieser öffentlichen Anhörung mit in die nächsten Sitzungen des G20-Ausschusses, sagt Pein. Jeder könne zu den öffentlichen Sitzungen kommen oder die Wortprotokolle einsehen. So richtig zufrieden wirken die Zuhörer Innen in der Kirche damit nicht.

Der Sanitäter ist fertig, Pein schließt die Sitzung und Innensenator Andy Grote (SPD) ist dran. Als der zu seinem Abschlussstatement ansetzt, verlässt gut die Hälfte der BesucherInnen unter „Grote raus“-Rufen die Kirche. So richtig was verpassen sie auch nicht: Grote spricht wie gewohnt unter anderem von unterschiedlichen Wahrnehmungen und Deutungen und entschuldigt sich für die „Zumutungen“ während des Gipfel-Wochenendes. Eine Frau steht während seiner mehr als 20 Minuten dauernder Rede auf und verlässt die Kirche. „Das ist doch keine SPD, Mensch“, flüstert sie im Gehen.

Draußen warten einige AktivistInnen, halten Transparente hoch. Der angekündigte große Protest bleibt aber aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen