: Mit Schmackes und Spott hingekritzelt
Mal gute Kunst, mal aber auch nur Klingelstreich. Die drei Künstlerstars Daniel Richter, Jonathan Meese und Tal R bespielen gemeinsam das Kunsthaus Stade
Von Frank Keil
Es ist wieder ruhig geworden im Kunsthaus Stade. Manchmal knarrt der Dielenboden, wenn einer der Besucher zum nächsten Bild weitergeht oder die Treppe vom zweiten in den dritten Stock nimmt. Von draußen hallen zuweilen Schritte hinauf, werden leiser, gleich ist es wieder still. Nun also können die Exponate sich räuspern und sich in aller Ruhe den Fragen ihrer Betrachter stellen, können wieder durchatmen und einfach nur Bilder und Skulpturen sein.
Das war vor ein paar Tagen ganz anders: Da waren Daniel Richter, Jonathan Meese und der Däne Tal R hier am Rockern. Da wurde gemalt und gepinselt und gehämmert und auch viel gescherzt. Da wurde viel Kaffee getrunken, gelärmt und auch mal schwadroniert. Da wurde ein Papierbogen nach dem anderen bekritzelt, bemalt, zerschnitten und an die Wand gehängt. Da wurden aus Fundstücken und Mitgebrachtem hau ruck Skulpturen gefertigt.
Denn die drei Künstler wollten keineswegs nur fertige Bilder abliefern lassen, nach getaner Arbeit des Kunsthausteams vorbeikommen und eine Ausstellung abnehmen, vielleicht hier und da die Hängung korrigieren. Alles war in ihrer Hand, alles blieb in ihrer Hand. „Bavid Dowie“, den Namen haben die drei Jungs ihrer Schau anschließend gegeben – obwohl die gar nichts mit David Bowie zu tun hat. „Wir haben eine Schneise des Missverständnisses angelegt, die wird begierig angenommen“, sagt Daniel Richter.
Von Richter sind ganz wunderbare Arbeiten zu sehen, die von seiner Hinwendung zu scheinbar abstrakten Farbflächen erzählen, ohne ihre gestische Grundierung verloren zu haben. Einiges getan hat sich auch bei Meese („Auf der Straße sprechen mich junge Kunststudenten an: ‚Sie sind doch der Herr Meese?‘, und ich sage: ‚Ja, leider.‘“), der offenbar altersmilde geworden ist und nicht mehr unablässig von der Diktatur der Kunst fabuliert: So bunt und freundlich hat man selten Bilder von ihm gesehen. Selbst Richard Wagner, der bei Meese nie fehlen darf, hat mit „Wagner’s Schlaf schläft nie“ ein heiteres Traumbild bekommen.
Eine Entdeckung sind auch die im Abgleich zu den beiden sehr zurückhaltend auftretenden Arbeiten von Tal R. Tafelbilder, überwiegend in SchwarzWeiß gehalten, seltsam der Zeit entrückt und eigen: ein Zirkuszelt, ein Blick durch ein Schlüsselloch, eine Barszene. Soweit die drei jeweils allein.
Und dann die drei als drei in einem: Denn zwischen den durchweg sehenswerten Einzelwerken hängen jede Menge Gemeinschaftsarbeiten, meist auf große Papierbögen geworfen, hin und wieder auch auf Leinwand gefertigt: Meese als Salvador-Dalí-Karikatur, hier ein Seitenhieb auf Picasso als Künstlerübervater, dort eine schnelle Replik auf den Kunstmarkt wie: „Kunst kann dein Ende sein – Stop the Pimmel Man“. Und noch ein Bild und noch eines und noch eines. Die eines nach dem anderen abzuliefern, muss den dreien großen Spaß gemacht haben.
Okay – drei, vier der mit viel Schmackes und Spott hingekritzelten, manchmal auch mit Farbe schier bombardierten Gemeinschaftsarbeiten haben Potenzial, wie man so sagt. Aus ihnen könnte etwas werden – am Ende. Sodass gerade die Gemeinschaftsarbeiten, die vor allem die Wände des oberen Stockes schier bepflastern, vor allem eines vermitteln: Nach einem flotten Scherz fängt die Arbeit erst an. Nur eine hübsche Idee trägt nicht allzu weit. Wenn da einer laut in die Hände klatscht und „Hallo!“ ruft, möchte man danach von ihm etwas hören.
So gesehen dürfte gerade die Gemeinschaftssause Meese-Richter-Tal-R in ihrer Flapsigkeit eines vermitteln: Dass solide Kunst gut durchgearbeitet ist; dass sie mehr als eine Ebene trägt. Kurzum: dass sich anschließende Arbeit lohnt, auch wenn sie anstrengend und ihr Gelingen nicht garantiert ist.
Und wenn man nun mehrmals treppauf, treppab durchs Haus läuft, von der einen in die andere Etage wechselt, mal auf einen wuchtigen Meese schaut, mal vor einem farbflirrigen Richter verharrt, mal diese faszinierend spröden Standbilder von Tal R zu erfassen sucht und diese tatsächlichen Einzelpositionen mit den so bewusst rüpeligen Gemeinschaftsarbeiten abgleicht, reift schnell eine Erkenntnis: Wenn drei gute Künstler zusammen Kunst machen, wird diese nun gemeinsame Kunst keineswegs gut. Sie wird es eher nicht.
Aber warum eigentlich Stade? Weil Richter und Meese schon mal in Stade ausgestellt haben, 2006 war das. Der Referent für Kultur und Archäologie, Andreas Schäfer, der mit den beiden Künstlern befreundet ist, lud sie ein, ein großes Ausgrabungsprojekt in Stade rund um das Grab des einstigen Bischofes Gottfried von Arnsberg künstlerisch zu begleiten.
Und Meese und Richter kamen. Schauten sich um, ließen sich inspirieren. Widmeten sich dem Sujet des Totenschädels, malten sich am Bischofsstab ab. Titel ihrer damaligen Ausstellung: „Die Peitsche der Erinnerung“. Die Ausstellung ging anschließend ins Helms-Museum nach Hamburg, sie wanderte weiter nach Rosenheim, nach Grenoble. Und sie war damals in Stade ein Knaller: Die Presse kam, das Fernsehen auch, die Besucherzahlen wurden erfreulich anständig. Auch weil manch Stader Kunstfreund sehr begeistert war oder sehr heftig den Kopf schüttelte, jedenfalls davon gern weitererzählte.
Das wollte man aus verständlichen Gründen gern wiederholen. 2016 war dafür angedacht, dann 2017, und nun ist es dieses Jahr was geworden. Und wieder kam das Fernsehen, die Presse, und im Gästebuch finden sich nach wenigen Tagen Einträge wie: „zum weglaufen“, „überflüssiger Scheißdreck“, „großartiger Spaß“ und „beeindruckende Energie“. Und auch diesmal kann sich Stade einreihen und bleibt nicht allein, denn die Dreier-Schau war zuvor in verwandter Form im dänischen Holstebro zu sehen und wird zum Ende des Jahres noch mal neu aufgefrischt die finnische Metropole Espoo aufsuchen.
Jonathan Meese, Daniel Richter, Tal R: „Bavid Dowie“, bis 23. September, Kunsthaus Stade
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