piwik no script img

Polizei bewahrt Leerstand

Trotz steigender Mieten und knappen Wohnraums stehen Häuser teilweise über Jahre leer. Am Sonntag besetzten deshalb AktivistInnen in Berlin zwei Gebäude. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft ließ zwar räumen – dennoch sind die BesetzerInnen zufrieden

Unterstützung für die Verschanzten: Per Seilzug gelangen Essen und Getränke in das besetzte Haus in der Bornsdorfer Straße Foto: Björn Kietzmann

Aus Berlin Erik Peter

Sie rückten an, um zu bleiben. Mit Sofas, Stehlampen, Teppichen und Tischen drang am Sonntagmittag eine Gruppe junger Berliner*innen in das fünfstöckige Wohnhaus in der Bornsdorfer Straße im Stadtteil Neukölln ein. 40 Wohnungen stehen hier seit fünf Jahren leer – wie geschätzt 100.000 in der ganzen Stadt. Während sich das Dutzend AktivistInnen in der ersten Etage einrichtete, machte die Nachricht weiterer Besetzungen in Berlin die Runde: in Steglitz, in Friedrichshain, in Köpenick – Scheinbesetzungen, die die Polizei verwirren sollten.

Nur ein weiteres Haus in der Reichenberger Straße in Kreuzberg wurde tatsächlich besetzt. Hier haben sich AktivistInnen des vor einem Jahr geräumten linksalternativen Kiezladens Friedel 54 ein Ladenlokal in einem Haus des Immobilienkonzerns Akelius angeeignet. Und wie in der Bornsdorfer Straße sollte es nur Stunden später, in der Nacht zum Montag, durch die Polizei geräumt werden. Zunächst aber war davon keine Spur. 20 Minuten nachdem die ersten BesetzerInnen das Haus betreten hatten, waren die ersten Gemeinschaftsräume bezogen, mit Teppichen und Grünpflanzen. Eine Aktivistin machte es sich auf einem Sessel bequem. Aus den Fenstern hing ein Banner: „#Besetzen“ stand darauf.

Berlin hat an diesem Sonntag die größte Besetzungsaktion seit Langem erlebt. Nach Göttingen und Stuttgart ist es nun die dritte größere Hausbesetzung in diesem Monat – und wie in Göttingen wurde sie letztlich mit Räumungsklage und Einsatz der Polizei beendet. Schon vor Wochen hatten AktivistInnen die Aktion unter dem Motto #Besetzen im Netz angekündigt. Da MieterInnen inzwischen in allen Bezirken von Gentrifizierung und enormen Mietsteigerungen betroffen sind, geht es den AktivistInnen um Grundsätzliches: „Wir wollen nicht nur über die soziale Nachjustierung von neoliberaler Politik reden, sondern über radikale Alternativen“, sagt Lisa Sommer (Name geändert), die die Besetzung in der Bornsdorfer Straße mit vorbereitet hat. Man wolle die „Dynamik der gesellschaftlichen Debatte um Wohnraum“ nutzen. Vor einem Monat waren 25.000 BerlinerInnen auf die Straße gegangen, um gegen den „Mietenwahnsinn“ zu protestieren.

Mit der Aktion wollten Sommer und ihre MitstreiterInnen auch die kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie die „Stadt und Land“ kritisieren, der das Haus gehört: „Das sind immer noch profitorientierte Kapitalgesellschaften, die Wohnraum auch gerne für 12 bis 15 Euro pro Quadratmeter vermieten“, so Sommer. Die „Stadt und Land“ sei zudem jene der fünf öffentlichen Gesellschaften, die am häufigsten zwangsräumen lasse. Trotz der Kritik spielte bei der Auswahl des Hauses auch die Hoffnung eine Rolle, dass das Unternehmen die Besetzung zunächst tolerieren könnte und nicht sofort die Polizei um eine Räumung bittet. Insgeheim hofften die AktivistInnen vor allem darauf, dass der rot-rot-grüne Senat nicht so kompromisslos auf Besetzungen reagiert wie seine Vorgänger. Die Linksfraktion etwa beschloss im März auf ihrer Klausurtagung ein Papier, in dem die „Entkriminalisierung von Wohnraumbesetzungen unter bestimmten Bedingungen“ gefordert wurde.

Doch beide Hoffnungen erwiesen sich als unbegründet. Kurz vor 21 Uhr abends stürmten rund 30 PolizistInnen das Haus. Mit lautem Gepolter, das auch noch auf der Straße deutlich zu hören war, öffneten sie die Türen; danach hörte man nur noch die aggressiven Rufe: „Alle auf den Boden!“ Dabei hatte es lange Zeit nach einer friedlichen Einigung ausgesehen.

Am späten Nachmittag hatten Ingo Malter, Geschäftsführer der „Stadt und Land“, und Baustaatssekretär Sebastian Scheel (Linke) den AktivistInnen Zugeständnisse gemacht. Umringt von Protestierenden und MedienvertreterInnen hatten sie direkt vor dem durch Polizisten abgeschirmten Eingang zugesagt, über ein selbstverwaltetes Haus zu verhandeln. Einzige Bedingung: Die BesetzerInnen müssten noch am selben Tag das Gebäude verlassen. Später hieß es, das Angebot umfasse Mieten von 6 Euro pro Quadratmeter. Alles sollte vertraglich fixiert werden.

Die BesetzerInnen, die draußen die Verhandlungen geführt hatten, schickten eine Delegation zu ihren MitstreiterInnen ins Haus. Doch während drinnen noch über das Angebot beraten wurde, verlor Malter die Nerven und stellte einen Strafantrag bei der Polizei, die unmittelbar mit der Räumung begann. Übermittelt ist Malters Zitat: „Ich lass mich nicht verarschen.“

Am Sonntag besetzten AktivistInnen mehrere Häuser in Berlin, wie hier in der Reichenberger Straße Foto: Christian Ditsch

Während Polizisten an die Fenster traten und die Transparente, die an der Fassade befestigt waren, abrissen, schauten die Grüne-Abgeordneten Canan Bayram (Bundestag) und Katrin Schmidberger (Abgeordnetenhaus) fassungslos in die offenen Fenster. Beide hatten das Angebot zuvor mit eingefädelt. „Scheiße“, entfuhr es Schmidberger.

„Der Senat hat jetzt die Gelegenheit, die Frage zu beantworten, wem die Stadt gehört“, hatte Bayram zuvor gesagt. Doch im Senat fiel die Antwort anders aus, als von ihr erhofft. In einer internen Chatgruppe, so wird kolportiert, hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) früh für eine Räumung plädiert, Stadt­ent­wicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) sich dem nicht entgegengestellt und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen sich geweigert, die Haftung zu übernehmen. „Stadt und Land“-Geschäftsführer Malter hatte beteuert, in einem Unglücksfall im Haus die rechtliche Verantwortung zu tragen. Weil sich alle wegduckten, bleibt am Ende die Last auf ihm.

Stehen seit fünf Jahren leer: die 40 Wohnungen in der Bornsdorfer Straße 37b in Berlin. Das Haus gehört der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ Foto: Christian Mang

Während die Polizisten zur Räumung schritten, protestierten etwa 300 Menschen lautstark vor dem Haus. Vor zwei Eingängen setzten sie sich zu Boden, nur vereinzelt kam es zu Schubsereien mit den Beamten. Die BesetzerInnen, die Polizei sprach von 56 Personen, wurden einzeln aus dem Haus geführt und erkennungsdienstlich behandelt. Nach Angaben der BesetzerInnen gingen die Beamten dabei brutal vor. Eine Person musste mit einer Platzwunde in ein Krankenhaus eingeliefert werden, eine andere verlor das Bewusstsein. Erst nach Mitternacht waren die Maßnahmen beendet.

Am Montag dann wurde Kritik an der Räumung laut: Auf Twitter kritisierte die wohnungspolitische Sprecherin der Linken, Katalin Gennburg: „Die Räumungen bei #BesetzenBerlin waren falsch“ und forderte die Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ auf, die Strafanträge zurückzuziehen und das Angebot an die BesetzerInnen zu erneuern. Einer ihrer Anwälte, Sven Richwin, kritisierte die „massive Gewalt“ bei der Räumung. Außerdem hätte die Polizei zugesichert, nicht vor Abschluss der Beratungen einzugreifen. „Schon 20 Minuten später, noch während unserer Besprechung mit den Besetzer*innen, begannen sie jedoch mit der Räumung. Für uns ist das ein Skandal.“

Die AktivistInnen zeigten sich vor allem vom Senat und der Linkspartei enttäuscht: „Die geringen Hoffnungen, die wir in den Senat hatten, wurden enttäuscht“, so eine der BesetzerInnen zur taz. Zufrieden war man irgendwie dennoch. Besetzungen sind wieder ein Thema – und, so die Ankündigung: „Es wird weitergehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen