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Mileuskizzen und Ränkespiele

Gegenwärtige Stoffe, ausgetüftelte Drehbücher: Das Kino Arsenal zeigt eine Retrospektive des italienischen Nachkriegsregisseurs Pietro Germi

Von Fabian Tietke

„Agramonte: 18.000 Einwohner, 4.300 Analphabeten, 1.700 Arbeitslose, einige davon ständig, einige zeitweise. 24 Kirchen.“ Träge mit den Augen blinzelnd rechnet Baron Ferdinando Cefalù in Pietro Germis „Divorzio all'italiana“ („Scheidung auf italienisch“, 1961) schon bei der Ankunft mit seiner Heimatstadt auf Sizilien ab. Mit großem Ennui erträgt Ferdinando seine Familie, seinen Vater, einen lüsternen Bankrotteur, seine Mutter – vor allem aber seine Frau Rosalia. Nach 15 Jahren Ehe gibt es nichts mehr, was Ferdinando mit Rosalia verbindet, außer der Ehe selbst, mit beinahe verzweifeltem Dauergebrabbel versucht Rosalia Aufmerksamkeit von „Fefé“ zu bekommen, während dieser seine Ermattung nur beim Anblick seiner 16-jährigen Cousine verliert.

Als er herausfindet, dass diese seine Gefühle erwidert, fällt ihm ein Artikel über ein „Verbrechen aus verletzter Ehe“ in die Hände. Seine zuvor schon vorhandenen Fantasien, seine Frau auf den Mond zu schießen oder im Moor versinken zu lassen, ­wandeln sich in den Plan, sie in die Arme eines Liebhabers zu treiben, dabei zu erwischen und sie zur Rettung seiner Ehre zu erschießen.

Mit „Divorzio all’italiana“ eröffnet das Arsenal an diesem Donnerstag eine kleine Retrospektive zu Pietro Germi. Auch wenn diese infolge horrender Preisvorstellungen der italienischen Rechteinhaber nicht vollständig ist, gibt sie doch einen guten Einblick in das Werk eines der großen Regisseure der italienischen Nachkriegszeit. Im Ausland dürften kaum mehr als ein, zwei Filme Germis geläufig sein, auch weil Germi wie einige andere Regisseure, die in den letzten Jahren des Faschismus ihre Regiedebüts ablegten, zwischen die Stühle fällt: Nur einige wenige frühe Filme zeigen Nähe zum Neorealismus, während Germis eigentliche Begeisterung der Arbeit gerade der Inszenierung von Stoffen aus der italienischen Gegenwart nach ausgetüfteltem Drehbuch und mit professionellen Schauspielern galt.

„Divorzio all’italiana“ markiert einen Wendepunkt in Germis Karriere: Standen zuvor Dramen und Kriminalfilme im Zentrum seines Werkes, wendet er sich nun der Commedia all’italiana zu, jener italienischen Spielart der Komödie, in deren Zentrum meist ein Ränkespiel steht, das grandios scheitert. So auch hier, bei Fefés Plänen, sich in Ermangelung eines Rechts auf Scheidung, der italienischen Variante zu bedienen und seine Frau zu ermorden – und wegen einer Regelung des Strafrechts straffrei zu bleiben, weil er dabei nur seine Ehre geschützt hat (die Scheidung wurde übrigens 1970 eingeführt, das Recht auf Ehrenmorde aber dennoch erst 1981 abgeschafft).

Zugleich jedoch behält Germi seine Fähigkeit bei, ein Milieu zu skizzieren. Der Schriftsteller und Filmkritiker Alberto Moravia gerät denn auch vor allem bei diesen Momenten in Verzückung: „Germi greift zur Technik der Wiederholung: nachdem wir wieder und wieder den Baron im Pyjama und im Unterhemd gesehen haben, wie ein wildes Tier im Käfig durch das Zimmer streifend, […] und im gleichen Aufzug am Tisch mit der Familie und im Bett mit seiner Frau […] haben wir nicht nur eine geistreiche Polemik gegen absurde Kleidungsgewohnheiten gesehen, sondern auch gegen die Wirklichkeit, die sich hinter dieser verbirgt.“ Der Baron ist eine Paraderolle für Marcello Mastroianni.

Diese Fähigkeit, Milieus zu erfassen, durchzieht auch andere Filme Germis: In „Un maledetto imbroglio“ („Unter glatter Haut“, 1959) ist es ein schwülstiges Konglomerat bürgerlicher Mittelschichten in Rom, die Germi entwirft. Basierend auf Carlo Emilio Gaddas zunächst in Zeitschriften erschienenem Roman „Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“ entfaltet Germi die Verworfenheit des Bürgertums in einer Mischung aus Tourneur und John Huston. Interessant ist die Art, wie Rom in diesem jedes Städtischen entkleidet erscheint, wie eine Provinz aus einem Wohnblock und Polizeirevier.

Noch ein paar Jahre früher drehte Germi gleich mehrere Filme über den Süden Italiens, die deutliche Anleihen beim US-Western und vor allem bei dem damals von der italienischen Kritik und Cinephilie vergötterten John Ford nahm. Germi – wie später in kaum wieder erkennbarer Form – nutzte den Western, um Thematiken des italienischen Südens aufzugreifen, über die sonst der Mantel des Schweigens gebreitet wurde. In „In nome della legge“ („Im Namen des Gesetzes“) von 1949 drehte er trotz der kurz zuvor wieder eingeführten Zensur einen der ersten Filme über die Mafia. Die Retrospektive zu Pietro Germi im Arsenal gibt einmal mehr einen Einblick in den unermesslichen Reichtum, der in der italienischen Filmgeschichte noch zu entdecken ist.

Retrospektive Pietro Germi. Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 18. – 30. 5., Programm unter: www.arsenal-berlin.de

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