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Die Tochter für die Ehre geopfert

In dem Spielfilm „Was werden die Leute sagen“ erzählt die norwegische Filmemacherin Iram Haq die autobiografische Geschichte ihrer Entführung durch ihre Eltern

Von Wilfried Hippen

„Was werden die Leute sagen“: ohne Fragezeichen ist dies, wenn nicht grammatikalisch so doch inhaltlich, eher ein Imperativ als ein Satz, auf den eine Antwort erwartet wird. Viele Deutsche werden ihn in ihrer Jugend von ihren Eltern gehört haben, aber in anderen, mehr auf die Ehre der Familie fokussierten Gesellschaften, ist er allgegenwärtig. So sagt es zumindest die Filmemacherin Iram Haq in einem Interview und erklärt so auch gleich, warum dies der Titel ihres neuen Films ist: „Den Ausspruch werden vermutlich alle Pakistanis und Inder kennen. In Hindi und Urdu ist das ein sehr geläufiger Ausdruck, der häufig in traditionellen Familien und in einem sozialen Umfeld mit einem traditionellen Ehrbegriff verwendet wird.“

Sie selbst wird ihn in Norwegen als Tochter in einer aus Pakistan stammenden Familie ständig gehört haben, denn sie hatte damals vor allem norwegische Freunde und wollte ihre Jugend so frei ausleben wie sie. Als 14-Jährige wurde sie deshalb von ihren eigenen Eltern entführt und dazu gezwungen, eineinhalb Jahre bei Verwandten in Pakistan zu leben. Sie habe „lange gewartet, bis ich mich als Filmmacherin und Mensch in der Lage gesehen habe, diese Geschichte in einer klugen und vernünftigen Weise zu erzählen“, sagt Haq.

Dies ist der 1976 geborenen Regisseurin nun, nach ihrem Spielfilmdebüt „I am Yours“, das 2013 Norwegens Einreichung für den Oscar als Bester nicht-englischsprachiger Film war, auch gelungen.

Ihr Alter Ego in „Hva vil folks si“ (so der Originaltitel) ist Nisha, eine junge Frau in der Pubertät, die wie ihre Freundinnen ihre Grenzen austesten will. Und dazu gehört auch, mit einem rothaarigen Norweger zu flirten und ihn nachts übers Dach in ihr Mädchenzimmer zu schmuggeln. Doch als die beiden vom Vater erwischt werden, ist dies für ihre Familie eine Katastrophe. Immerhin sind die Eltern noch so liberal, dass sie sich damit zufriedengeben würden, wenn die beiden sofort heiraten würden, doch als Nisha das ablehnt und leugnet, dass die beiden miteinander geschlafen haben, gilt sie bei ihrer Familie und „den Leuten“ als ein durch das Leben im Westen „verdorbenes“ Mädchen. „Wenn du so wie diese westlichen Idioten lebst, wirst du einsam und verrückt!“, erklärt ihr ein vermeintlich wohlmeinender Erwachsener und an Sätzen wie diesem kann man erkennen, dass hier von eigenen Erfahrungen erzählt wird, denn sie kann kein Drehbuchautor am Schreibtisch erfinden.

Natürlich wird hier in erster Linie aus der Perspektive von Nisha erzählt: In ihre Ängste, ihre Wut darüber, ungerecht behandelt zu werden und in ihre Machtlosigkeit den Plänen der Eltern gegenüber soll man sich so unmittelbar und intensiv wie möglich einfühlen. Die Dramaturgie des Films ist dann auch so aufgebaut, dass der Zuschauer mit wenigen Ausnahmen die gleichen Informationen bekommt wie Nisha. Aber es gibt einige, kurze Perspektivenwechsel, denn Haq will auch zeigen, wie die Eltern zu ihren herzlos und grausam erscheinenden Entscheidungen gekommen sind. Sie sagt, sie wollte „vermeiden, dass es eine Geschichte über „schreckliche Eltern“ und ein „ganz armes Mädchen“ wird. Sich in die Situation der Eltern zu versetzen, ist für mich natürlich schwerer. Aber ich wollte versuchen, mich ihrer Mentalität zu stellen und mir beide Seiten anzuschauen.“

Dies gelingt vor allem, weil sie so klug war, nicht nur mit Maria Mozhdah eine sehr starke und sympathische Darstellerin für die Rolle der Nisha auszuwählen, sondern auch die Rolle des Vaters mit Adil Hussain, einem ähnlich intensiven und authentisch wirkenden Schauspieler zu besetzen. Hussain ist ein in Indien sehr bekannter Darsteller, der auch schon in Ang Lees Spielfilm „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ mitgespielt hat. In seinem Gesicht spiegeln sich seine komplexen Gefühle: Scham, Wut, Schuld, aber auch Trauer und Liebe. Nicht umsonst ist das letzte Bild des Films eine Großaufnahme von ihm und nicht das in Coming-of-Age-Filmen (und in dieses Subgenre gehört „Was werden die Leute sagen“ natürlich auch) übliche Bild von der jungen Protagonistin, die ohne einen Blick zurück in die Zukunft zieht.

Etwa die Hälfte des Films spielt in Pakistan (gedreht im indischen Rajasthan), und auch bei diesen Sequenzen merkt man, dass sie auf Erlebtem und nicht auf Erfundenem basieren. „Lebt ihr in Norwegen in Iglus?“ fragt eine Klassenkameradin Nisha in einer Koranschule – noch einer von diesen so echt klingenden Sätzen.

„Was werden die Leute sagen“ wurde von verschiedenen deutschen Förderanstalten mitfinanziert, darunter auch die Nordmedia, und dies ist der Grund dafür, warum einige Szenen in Hamburg und in Celle gedreht wurden, denn Fördermittel müssen möglichst im Geberland auch wieder ausgegeben werden. So gibt es eine Sequenz, die auf einer deutschen Landstraße spielt sowie einen Abflug vom Hamburger Flughafen, und diese Szenen sind als einzige nicht plausibel, denn ist es vorstellbar, dass eine entführte Jugendliche von Norwegen mit dem Auto bis nach Deutschland gefahren wird, um dann von dort aus nach Pakistan zu fliegen ? Gerade weil der Rest des Films so authentisch wirkt, fällt dieser kleine Kunstfehler auf.

Davon abgesehen, ist Iram Haq ein beeindruckender Film gelungen, der es dem Publikum möglich macht, nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen. Auf den Nordischen Filmtagen Lübeck wurde er im letzten Jahr mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

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