: Ohne Straftat in den Knast
Innenminister Pistorius legt Entwurf für neues niedersächsisches Polizeigesetz vor. Gefährder sollen künftig bis zu 74 Tage in Haft
Von Andrea Scharpen
Die Grundrechte einiger Menschen werden in Niedersachsen künftig stark eingeschränkt. Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat am Donnerstag den Entwurf für ein neues Polizeigesetz vorgestellt. Wie im Koalitionsvertrag von SPD und CDU angekündigt, ist darin vorgesehen, dass sogenannte terroristische Gefährder, ohne dass sie eine Straftat begangen oder diese konkret vorbereitet haben, bis zu 74 Tage ins Gefängnis kommen können.
Entscheiden muss über diesen Unterbindungsgewahrsam ein Gericht. Zunächst kann der Gefährder für 30 Tage in Haft genommen werden, danach entscheidet ein Richter über weitere 30 und danach noch einmal über bis zu 14 Tage Haft.
Die 74 Tage sind ein Kompromiss. Auch Pistorius wollte die Dauer der Präventivhaft, die bisher maximal zehn Tage beträgt, erhöhen, allerdings weniger stark. Die CDU hatte zunächst 18 Monate Haft für Menschen gefordert, die sich, obwohl sie als Gefährder gelten, noch nichts haben zu Schulden kommen lassen. „Ich habe aus meiner Skepsis gegenüber diesem Instrument nie einen Hehl gemacht“, sagte Pistorius bei der Pressekonferenz.
Obwohl die Präventivhaft „den schärfsten Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit“ darstelle, sei es „in extremen Ausnahmefällen“ sinnvoll, diese zur Gefahrenabwehr einzusetzen – allerdings ausschließlich für Gefährder. Für alle anderen Gruppen sei die Präventivhaft „in dieser Größenordnung“ nicht vorstellbar, sagte Pistorius.
Zur Prävention terroristischer Straftaten hält der Entwurf des Polizeigesetzes weitere Maßnahmen bereit: Wem die Polizei eine „begründete Gefahrenprognose“ stellt, kann Meldeauflagen, Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote und eine elektronische Fußfessel bekommen. Verstöße gegen diese Punkte werden künftig als Straftat gewertet. Zudem werden auch die Telefon- sowie die Wohnraumüberwachung, zum Beispiel mit Abhörmikrofonen, freigegeben, um potenzielle Gefährder zu beobachten. Auch für Online-Durchsuchungen soll eine Rechtsgrundlage geschaffen werden.
Das alles freut besonders den Exinnenminister Uwe Schünemann. Bei der Pressekonferenz zum neuen Polizeigesetz, das jetzt Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz heißt, hat er sich als Vertreter der CDU neben Pistorius gesetzt. „Ich hatte Ihnen vor geraumer Zeit mal gesagt, dass wir uns an dieser Stelle in fünf Jahren wiedersehen“, erinnerte er. Nun hat der Hardliner tatsächlich wieder Einfluss auf die Innenpolitik. Bei den Gesetzesänderungen handele es sich um „völlig notwendige Befugnisse“, so Schünemann.
Die CDU würde diese Befugnisse gern auch auf andere Straftaten ausweiten. So sieht das neue Polizeigesetz vor, dass elektronische Fußfesseln auch im Bereich der organisierten Kriminalität eingesetzt werden können. „Meldeauflagen und Aufenthaltsvorgaben sind da sicherlich nicht weit weg“, sagte Schünemann.
Auf das Konto der CDU geht auch eine Veränderung im Versammlungsrecht. Vermummung gilt nicht mehr wie unter Rot-Grün beschlossen als Ordnungswidrigkeit, sondern erneut als Straftat.
Kritik am Entwurf kam von den Jusos in Göttingen: „Wir Jusos finden die reaktionären Handlungen und den Vorbeugungswahn unseres Innenministers nicht tragbar“, sagt Larissa Freudenberger. Ihr Kollege Philipp Pecher ergänzt: „Die vorgesehenen Freiheitsbeschränkungen stehen in keinem Verhältnis zu den versprochenen Sicherheitsvorteilen.“ Der Landtag soll noch in diesem Jahr über den Entwurf entscheiden.
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