: Protest gegen den „Zaren“
In Moskau und anderen russischen Städten demonstrieren Tausende gegen Wladimir Putin. Der oppositionelle Blogger Alexei Nawalny wird vorübergehend festgenommen
Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Mit dem Motto „Kein Zar für uns“ ging die Opposition in Dutzenden Städten Russlands am Wochenende auf die Straße. Aufgerufen hatte der Antikorruptionskämpfer und Gegenspieler Präsident Wladimir Putins, Alexei Nawalny.
Der Oppositionelle wollte sich nach längerer Pause im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen im März als Gegner des Kreml wieder in Erinnerung rufen, vermuten Beobachter. „Wir werden die Behörden, die aus Betrügern und Dieben bestehen, zwingen, jene Millionen Bürger zu berücksichtigen, die nicht für Putin gestimmt haben“, sagte Nawalny vor dem Protest.
Nawalny war wegen einer fadenscheinigen Vorstrafe auf Bewährung von der Präsidentschaftswahl im März ausgeschlossen worden. Andere Präsidentschaftsbewerber, die indes nur als Zählkandidaten an der Wahl teilnehmen durften, sind nach dem glänzenden Sieg des Kremlchefs mit fast 77 Prozent wieder aus den Medien verschwunden.
Mehr als 700 Demonstranten wurden an diesem Wochenende allein in Moskau in Gewahrsam genommen. Darunter befand sich auch Nawalny, der zur Überraschung der Sicherheitskräfte plötzlich aus der Menge am Puschkin-Platz im Zentrum Moskaus auftauchte. Nach einer Viertelstunde hatte die im Umfeld in Bussen wartende Armada den Oppositionellen wieder aus dem Verkehr gezogen. In der Nacht zu Sonntag wurde er jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt. Am 11. Mai soll der Fall vor Gericht behandelt werden.
Polizei und Truppen des Innenministeriums gingen mit größerer Härte als bei vorangegangenen Demonstrationen gegen die meist jugendlichen Protestler vor. Im Moskau hatten sich an die 4.000 Demonstranten im Zentrum versammelt. Das war die größte Zusammenkunft landesweit am Samstag.
Die Demonstrationen am Wochenende fanden zwei Tage vor dem Jahrestag der Amtseinführung Wladimir Putins 2012 statt. Die Proteste auf dem Bolotnaja-Platz markierten damals eine endgültige Wende. Der Kreml setzt seither ausschließlich auf Kräfte der Reaktion. Im Anschluss an die Auseinandersetzungen auf dem Bolotnaja-Platz 2012 wurden Hunderte Demonstranten festgenommen oder im Nachhinein erst ermittelt. Seither entstand eine Atmosphäre der Einschüchterung.
Auch diesmal fuhr der Kreml alle Insignien staatlicher Gewalt auf. Landesweit wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Owd-Info 1.600 Demonstranten festgenommen. Das sind mehr als im März 2017. Damals wurden bei einer Nawalny-Veranstaltung 1.500 Protestler vorübergehend festgesetzt.
Auffällig war: Der Kreml ließ diesmal wieder paramilitärische Einheiten gewähren. Uniformierte Kosaken verprügelten Demonstranten mit der Nagaika, einer geflochtenen Lederpeitsche. Daneben hatten Mitglieder der Nationalen Befreiungsbewegung NOD schon das Puschkin-Denkmal besetzt und sich als Provokateure unter die Menge gemischt. Die NOD ist ein Sammelbecken gesellschaftlicher Randelemente, die sich häufig gegen die Opposition instrumentalisieren lassen. Das Russische bezeichnet diese Randgruppe noch heute im Rückgriff auf Karl Marx als „Lumpenproletarier“.
Beobachter rätseln, warum der Kreml die erfolgreiche Taktik der letzten Monate aufgab. Er ließ die Proteste weitestgehend gewähren und vermied gewalttätige Zusammenstöße. Nun steht auch die nächste Amtseinführung Wladimir Putins am Montag wieder unter einem Zeichen der Gewalt.
Manche vermuten, die letzten Unruhen in Armenien könnten ein Motiv für das harte Vorgehen des Kreml gewesen sein. In Jerewan hatte friedlicher Protest den Staatschef überraschend schnell zu Fall gebracht. Der Widerstand unter Nikol Paschinjan fing in der Provinz zunächst klein an, mobilisierte nach kurzer Zeit in der Hauptstadt Hunderttausende und brachte ein scheinbar stabiles System ins Wanken. Auch dort war es die Jugend, die die Proteste dominierte. Offensichtlich traut Moskau Nawalny eine ähnliche Wirkung zu.
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