piwik no script img

Randale verdrängt Gewerkschaftsdemo

In Paris gibt es nach den gewalttätigen Ausschreitungen am 1. Mai viele offene Fragen. Der Schwarze Block torpedierte die Gewerkschaftsdemo. Polizei sah Gewalttätern zu

Aus Paris Rudolf Balmer

Offiziell sollte am 1. Mai die Gewerkschaftskundgebung in Paris um 14.30 Uhr beginnen. Die Organisatoren aber zögern, den Marsch Richtung Place d’Italie zu starten. Die Ursache befindet sich auf der Brücke, die über die Seine zum Bahnhof Austerlitz führt. An diesem strategischen Punkt versammeln sich Gruppen schwarzgekleideter und größtenteils mit Kapuzen, Ski-Brillen und Halstüchern vermummter junger Leute. Mit ihren schwarz-roten Fahnen sind sie auf den ersten Blick als Anarchisten oder „Ultralinke“ identifizierbar.

Andere Demonstranten oder bloße Zuschauer beeilen sich, an diesem Block vorbeizukommen. Allen ist klar, da braut sich etwas zusammen. Es wäre nicht das erste Mal, dass „Autonome“ am Rande von Kundgebungen randalieren oder Zusammenstöße mit der Polizei provozieren. Nur besteht der Schwarze Block jetzt nicht aus ein paar Dutzend Personen, die sich wie sonst möglichst anonym unter die Menge mischen. Jetzt sind es mehr als tausend.

Plötzlich formiert sich diese lockere Menschenmenge auf der Brücke zu einem Block hinter einigen Transparenten. Auf einem steht „Marx Attacks“, auf einem anderen ironisch „Risques de troubles à l’ordre public“ (Gefahr der öffentlichen Ruhestörung). In den hinteren Reihen krachen bereits erste Feuerwerkskörper.

Auf der anderen Seite der Seine beobachten ein paar hundert Menschen ängstlich oder sensationsgierig die Vorbereitungen. Starke Aufgebote der CRS-Bereitschaftspolizei haben auf einer Distanz von jeweils 200 Metern vorsorglich außer der vereinbarten Demostrecke über den Boulevard de l’Hôpital alle Fluchtwege blockiert. Neben der Treppe zur Metro verteilen Mitglieder der trotzkistischen Partei NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) Flugblätter. Per Megafon warnen sie, dass es auf der großen Kreuzung wohl bald drunter und drüber gehen werde. Kameraleute der Medien setzen ihre Helme auf und bereiten sich mit mitgebrachten Masken auf Tränengas vor.

Um fast 16 Uhr hindert der Schwarze Block die Gewerkschaftsdemo am Überqueren der Brücke. Die Spannung steigt. Auf dem Platz neben dem Bahnhof Austerlitz beginnt der Schwarze Block damit, Verkehrsschilder und Reklametafeln zu demontieren und Wurfgeschosse zu sammeln. Trotz dieser Vorbereitungen hält sich die Polizei zurück. Der Block der Autonomen, der wohl vergeblich auf eine CRS-Attacke gewartet hat, setzt sich in Bewegung.

Kommt es dem Staat gelegen, wenn der Schwarze Block von sozialen Fragen ablenkt?

Kleine Gruppen stoßen blitzschnell aus dem Block vor. Sie verwüsten ein McDonald’s-Restaurant, danach eine Renault-Garage. Schaufenster klirren. Erst jetzt scheint die Polizei einen Befehl zum Gegenangriff zu haben. Sie treibt den Schwarzen Block in Gegenrichtung der Demo über die Brücke zurück. Beim Bahnhof Gare de Lyon gehen die Sachbeschädigungen weiter. Die Demo muss auf Anordnung der Behörden einen anderen Weg einschlagen. Den Gewerkschaften ist die Feier verdorben worden. In den Medien ist nur Straßenschlachten und Vandalismus die Rede. 31 Geschäfte seien verwüstet, 15 Fahrzeuge angezündet worden.

Als einzigen Erfolg vermeldet Polizeipräfekt Michel Delpuech, es seien 200 Randalierer festgenommen und Molotowcocktails oder andere Waffen sichergestellt worden. Er hält die Bilanz für positiv. Denn nur ein Polizist sei leicht verletzt worden. Doch die Verlegenheit ist Delpuech anzusehen. Am Tag danach gibt auch Innenminister Gérard Collomb zu seiner Rechtfertigung zu bedenken, im Fall eines vorzeitigen oder offensiveren Vorgehens der Polizei hätte es zweifellos „Verletzte und gar Tote“ gegeben.

Diese Erklärungen geben indes keine befriedigende Antwort auf die politische Kritik von links und rechts und auf die Fragen, die sich zum Polizeieinsatz stellen. Anhänger von Verschwörungstheorien werden vermuten, dem Staat komme es gelegen, wenn der Schwarze Block für Chaos sorgt und so von sozialen Konflikten ablenkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen