: Wie das „Möp“ funktioniert
Heute beginnt die dritte Ausgabe der Synthesizer-Messe Superbooth, die eigentlich ein Mitmachfestival für alle ist. Der Mann, der sie und noch mehr erfand, ist Andreas Schneider
Von Jens Uthoff
„Ach, Schneider. Komm schon. Das ist doch Schnee von gestern.“ Mit diesen Worten begann einst die außergewöhnliche Geschichte eines außergewöhnlichen Geschäftsmannes. Knapp 20 Jahre ist das nun her.
Der Geschäftsmann heißt Schneider, er sitzt an einem Apriltag auf einer Terrasse inmitten des Zentrum Kreuzberg am Kottbusser Tor, unzählige Wohnwaben und Satellitenschüsseln im Blick. Er trägt stoppeligen Zwölftagebart und Brille, hat eine alte Kapitänsmütze auf dem Kopf und ist in einen beigefarbenen Arbeitskittel gehüllt, auf dem „Schneiders Laden“ steht. Schneiders Laden, das ist sein Laden. Ein Fachgeschäft für Synthesizer, das über dem Kaiser’s – jetzt Rewe – liegt und neben dessen Hinterausgang der Inhaber auf einem Stuhl Platz genommen hat.
„,Schneider, das braucht kein Mensch mehr. Musik macht man heute mit dem Computer‘, haben sie mir gesagt – und mir ’nen Vogel gezeigt“, sagt er. Er spricht über die Zeit kurz vor der Jahrtausendwende. Da ist er Mitte 30, neu in Berlin, arbeitet für den Musikinstrumentenhersteller Jomox und hat eine Idee, wie es mit seinem Leben weitergehen könnte. Er will modulare Synthesizer – das sind Kästchen mit Reglern, in die man Kabel stecken kann und die dann Geräusche machen – in den klassischen Musikhandel bringen. Doch wenn er mit den Händlern spricht, lachen die ihn nur aus: Alter Käse sei das.
Also macht Schneider, der mit vollem Namen Andreas Schneider heißt, aber meist nur bei seinem Nachnamen genannt wird, seinen eigenen Laden auf. Und schreibt in den folgenden Jahren ein Stück Berliner Musikgeschichte. Denn die Synthesizer, Sequenzer und Modularsysteme, die er verkauft, sind mitnichten passé. Die Menschen wollen wieder Musik mit den eigenen Händen machen – der Hobby-Knöpfchendreher im Keller genauso wie der Produzent von Weltrang.
Bei Schneider kaufen sie in den folgenden Jahren alle, von Depeche-Mode-Entdecker Daniel Miller über Alessandro Cortini (Nine Inch Nails) bis hin zu Produzenten wie Moritz von Oswald oder T.Raumschmiere. Schneider hat nicht nur diesen Szeneladen, er vertreibt die elektronischen Instrumente auch, verkauft sie weiter an diejenigen, die ihm damals den Vogel zeigten. Schneiders Laden hat heute 20 Mitarbeiter. Gleich um die Ecke, in der Ritterstraße, sind Lager-, Vertriebs- und Büroräume. Insgesamt breitet er sich inzwischen auf knapp 400 Quadratmetern aus.
Seit zwei Jahren veranstaltet er auch noch die Synthesizer-Messe Superbooth, deren dritte Ausgabe heute beginnt. Genauso wenig wie Schneiders Laden ein gewöhnliches Geschäft ist, ist Superbooth eine konventionelle Messe. Eher ist es ein Mitmachfestival für alle, es gibt viel auszuprobieren, an den Ständen und Räumen finden kleine Konzerte statt. „Wer will denn schon das langweilige Gelaber der Verkäufer über Synthesizer hören? Wenn man aber etablierte Künstler einlädt, die diese Geräte lieben und tolle Musik damit machen, dann verstehen die Leute auch das Produkt“, so Schneider.
Das Superbooth ist eine Messe für elektronische Musikinstrumente und ein Musikfestival. Vom 3. bis 5. Mai findet die dritte Ausgabe im FEZ in der Wuhlheide statt (Straße zum FEZ 2, Köpenick). Es gibt täglich mehr als 20 Konzerte (u. a. Gebrüder Teichmann, Schneider TM, GusGus, T.Raumschmiere). Die Aussteller kommen aus 36 Ländern. Synthesizer-Workshops für Jugendliche und Erwachsene werden angeboten, es gibt eine Installation („Panzer“) und Talks (u. a. mit Daniel Miller, Mark Ernestus) als interessantes Drumherum-Programm. Superbooth bietet viermal täglich einen Bootshuttle von der Jannowitzbrücke an. Alle Infos und Zeiten unter: www.superbooth.com.
Einen Masterplan gab es in Schneiders Leben nie. Er ist jemand, dem das Leben zustößt, dem es passiert, der von A nach B gehen will, auf dem Weg aber C trifft und deshalb bei D landet. Gemäß dieser Analogie hat er in diesem Leben wohl schon einige Alphabete durch. So klingt es auch, wenn er aus seiner Biografie erzählt: Nebensatz reiht sich an Nebensatz, irgendwann kehrt er fast unerwartet zum Hauptsatz zurück.
Geboren und aufgewachsen ist Schneider, Jahrgang 65, in Bremen. Nach der Schule lernt er Kaufmann in einem floristischen Großhandel, Import/Export. Eine traumatische Erfahrung, sagt er, immerhin habe er dort aber Telefonieren und Verkaufen gelernt. Anfang der Achtziger beginnt er in Bands zu spielen. Zunächst ist er Keyboarder der Punkband Absolut und der Ska-Band Schwarz Weiss Mafia. Später hat er eine Bigband namens Hot Five and the Six, deren Stil er als „zappaesk verschachtelt“ bezeichnet. „Leider war ich der Einzige in der Band, der telefonieren und freundlich Fragen beantworten konnte, deswegen wurde ich ganz schnell der Manager der Gruppe“, sagt er. Mit der Band ist bald wieder Schluss. Die Managertätigkeit aber liegt ihm: Mitte der Neunziger managt er das Bremer Gangsta-Rap-Trio Cribb 199.
Als der Musiksender Viva Ende der Neunziger ein Regionalbüro Nord aufbaut, wird Schneider dessen Leiter. Es ist eine Art Alibibüro, mit dem der Sender sich bei der Landesmedienanstalt beliebt machen will und in dem es de facto wenig zu tun gibt. Schneider wird selbst aktiv, will einen Talentwettbewerb für junge Bands aufbauen. Viva will ihn daraufhin loswerden, gibt ihm eine Abfindung mit auf den Weg. Mit dieser restlichen Patte in der Tasche kommt er Ende der Neunziger an die Spree.
In Berlin wird aus Schneider dann Synthesizer-Schneider. Er lernt Jürgen Michaelis kennen, den Gründer des Musikinstrumentenherstellers Jomox. Der beliefert mit Rhythmusmaschinen wie XBase09 die Westbams und Dr. Mottes der Stadt. Schneider greift Michaelis unter die Arme, arbeitet ein Jahr unentgeltlich für Jomox – „Geld hatte ich ja noch“. Ab Oktober 1999 baut er ein eigenes Büro am Alexanderplatz auf, über das er nach und nach mehr Musikerbedarf vertreibt. Daraus wird später Schneiders Laden, der inzwischen seit etwa zehn Jahren am Kotti ist.
Heute ist Schneider noch immer „Fachverkäufer“ für Synthesizer, wie er gerne sagt. Ein Grund für seinen Erfolg: Man bekommt erklärt, was man macht und welche Geräusche warum entstehen. Die Instrumente sind alle ausgestellt, man kann rumprobieren. An diesem warmen Frühlingsnachmittag sind ein halbes Dutzend junger Leute im angrenzenden Ladenraum, einer von Schneiders Mitarbeitern steht mit einer Kundin vor einem Gerät mit viel buntem Kabelgewirr. Sie fummeln an den Buchsen rum, man hört ein Pochen, ein Pluckern.
„Es geht uns darum, dass die Kunden die Elektronik haptisch erfahren können“, sagt Schneider. Bei den modularen Synthesizern beginne das mit einer profanen Feststellung: „Steckst du das Kabel rein, kommt ein ‚Möp‘. Ziehst du es wieder raus, ist das ‚Möp‘ weg. Das ist eine Erfahrung, die heute kein Grundschüler mehr macht.“ Er versteht nicht, warum man Synthesizer in Schulen nicht viel mehr einsetze, ermöglichten sie doch interdisziplinäres Lernen: „Über die Kabelverbindungen kann man die Basics der Physik erklären. Die Frequenzen, die entstehen, kann man in Zahlen übersetzen und zeigen, wie Musik und Mathematik zusammenhängen. Und man kann einiges über Kunst erfahren, wenn man über die Wirkung der Klänge auf den Körper spricht. Das sind Querverbindungen, die ganz wichtig sind.“ Die grundlegende Funktionsweise eines modularen Synthesizers ist dabei folgende: Man hat Module, die als Oszillatoren Frequenzen erzeugen. Diese Frequenzen lassen sich filtern, verstärken, verzerren oder mit Hall versehen. Die Geräusche variieren – je nachdem, wie man zum Beispiel einen Regler bewegt oder auch verschiedene Module miteinander verbindet.
Fast zwei Dekaden nachdem man Schneider den Vogel zeigte, sind diese analogen Synthesizer wieder in. Das hat auch mit Nostalgie zu tun, aber nicht nur. Spannende aktuelle Künstler wie James Holden oder Kaitlyn Aurelia Smith nutzen modulare Synthesizer, Daft Punk haben auf „Random Access Memories“ (2013), einem der großen Alben des Jahrzehnts, mit analoger Technik und modularen Synthesizern gearbeitet.
Die Industrie reagiert. Firmen wie Moog und Roland bauen alte Modelle aus den Siebzigern und Achtzigern wieder nach, Billigfirmen wie Behringer kopieren sie. „Wir warten nur noch auf das Ikea-Modul“, sagt Schneider spöttisch. Für ihn selbst ist es ein Teil des Jobs, die Produktionsbedingungen zu berücksichtigen, ressourcenschonend zu arbeiten. „Klar kann man Synthesizer copy and paste herstellen und in unendlichen Stückzahlen auf den Markt bringen. Und wenn’s keiner kauft, schmeiß ich den Rest eben weg. Das ist ein Bewusstsein, gegen das ich anarbeite“, sagt er. Er achtet bei den Geräten und dem Zubehör darauf, wo und wie sie hergestellt wurden. „Außerdem geht nicht um billig. Es geht um gut – kreativ und intellektuell gut. Ich muss wissen, was passiert, wenn ich das Gerät bediene.“
Schneider bringt heute nicht nur Synthesizer mit Biosiegel unter die Leute, er ist mit seinem Laden darüber hinaus Multiplikator und Netzwerker. Oder, wie er sagt, „Interface“, also Schnittstelle. Mit dem Superbooth-Festival im FEZ hat die Interface-Funktion an drei Tagen eine eigene Plattform. Irgendwo zwischen all den Modulen, Kabeln und Boxen könnten Sie dort einem Mann mit Brille, Hut und Arbeitskittel begegnen, der schnell und viel redet; am liebsten über Synthesizer, Kunst und das Leben. Er zeigt Ihnen sicher gerne, wie die Sache mit dem „Möp“ funktioniert.
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