Gastkommentar von Nataniel Teitelbaum über die Kippa: Eine traurige Botschaft
Der Aufruf des Zentralrats der Juden in Deutschland zum Tragen der Kippa in der Öffentlichkeit ist eine traurige Botschaft. Sie bezeugt einen kritischen Punkt in der Geschichte des deutschen Judentums und erinnert an die tragischen Zeiten des zweiten Tempels, als man auch sagte, die Juden sollten sich nicht an die Gesetze halten. Die deutsche Regierung darf es nicht dazu kommen lassen, dass die Juden in Deutschland am Schutz durch den Staat zweifeln müssen und ängstlich werden.
Gleichzeitig möchte ich in meiner Verantwortung als Rabbiner diese Botschaft korrigieren. Die meisten Juden tragen auch heute draußen keine Kippa. Es gibt aber wenige fromme Juden, die das tun. Ich möchte sie aufmuntern, bei ihrem Bekenntnis zum Judentum zu bleiben und sich nicht verunsichern zu lassen. Wir sollten keine Angst haben, Juden zu sein.
Man weiß vielleicht nicht alles über das Judentum in der breiten Öffentlichkeit und man vergisst die Bedeutung der Kippa. Das ist nicht bloß eine rituelle Kopfbedeckung. Es ist im Laufe der jüdischen Geschichte ein Körperteil, ein Zeichen der Identität geworden. Vor einigen Jahren stellte man sich gegen die Beschneidung, jetzt ist die Kippa ein Problem, aber was kommt als Nächstes? Synagogen? Feiertage? Bloße Existenz? Auf diese Weise beginnt man, den Juden ihre Identität zu nehmen, wenn ich das so ausdrücken darf.
Einerseits hören wir, es sei gefährlich, Kippa zu tragen. Gleichzeitig kommen andere zu einer solidarischen Demo, tragen Kippa und freuen sich. Das ist ein verrückter Widerspruch. Es ist wichtig, dass man diesen Unterschied versteht: Was bedeutet es, wenn Nicht-Juden das tun, was Juden nicht tun sollen?
Wenn es zu warm ist, kann ich meinen Mantel ablegen. Wenn es gefährlich ist, sich als Jude zu zeigen, soll ich dann mein Judentum ablegen?
Nataniel Teitelbaum ist Bremer Landesrabbiner
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