Amri-Untersuchungsausschuss Berlin: „Die Aktenberge sind riesig“

In der heutigen Sitzung des Untersuchungsausschusses wird es auch um die jüngsten Akten-Skandale gehen, sagt Benedikt Lux (Grüne).

19. Dezember 2016: Bei dem Attentat auf dem Breitscheidplatz kamen 12 Menschen ums Leben Foto: dpa

taz: Herr Lux, an diesem Freitag tagt der Amri-Untersuchungsausschuss zum 12. Mal. Welche Rolle wird der Aktenskandal spielen, der an Ostern bekannt geworden ist?

Benedikt Lux: Er wird eine kleine Rolle spielen. Am Ende der Sitzung werden wir das noch mal ansprechen.

Was passiert ist, finden Sie demnach nicht mehr skandalös?

Der Parlamentspräsident hat inzwischen bestätigt, dass mit den Akten nicht sachgerecht umgegangen wurde.

Im Abgeordnetenhaus Seit Sommer 2017 soll ein Untersuchungsausschuss mögliche Versäumnisse der Berliner Polizei bei der Überwachung Anis Amris aufklären. Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert. Zwölf Menschen starben durch den Anschlag, mehr als 70 wurden verletzt.

Im Bundestag Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz hat am Donnerstag erstmals Sachverständige angehört. (taz, dpa)

Wie vom Abgeordnetenhaus angefordert, hatte die Senatsverwaltung für Justiz dem Büro des Amri-Untersuchungsschusses Originalakten der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Diese Akten hat die Justizverwaltung dann anders sortiert und mit Aufklebern versehen vom Ausschussbüro zurückbekommen.

Dass die Akten umsortiert und neu etikettiert worden sind, hätte nicht stattfinden dürfen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass Akteninhalte verändert worden sind. Der Verantwortungsbereich muss geklärt werden. Aber ich habe ein Interesse daran, nach vorne zu schauen und die Aufklärungsarbeit fortzusetzen.

Hallo? Es handelt sich um Originalakten, die durcheinandergebracht worden sind, nicht um Kopien.

Der Vorgang ist sehr unschön, aber er wurde weitestgehend aufgeklärt. Ich gehe davon aus, dass er sich nicht wiederholt.

Sah die Aufklärung nicht eher so aus, dass von der CDU versucht wurde, letztlich der Justizverwaltung die Schuld in die Schuhe zu schieben? Die habe dem Ausschuss ein Aktenchaos geliefert, wurde behauptet.

Die Justizverwaltung trifft keine Schuld. Sie hat dem Untersuchungsausschuss vertraut und Originalakten ausgehändigt, so wie sie von den Strafvollstreckungsbehörden geführt wurden. Die Justizverwaltung wäre zudem jederzeit bereit gewesen, dem Ausschuss die Methode der staatsanwaltschaftlichen Aktenführung zu erklären. Doch statt nachzufragen, wurden die Originalakten umsortiert. So wurden zentrale Beweismittel verändert.

Wer trägt dafür die Verantwortung?

Das liegt im Verantwortungsbereich des Ausschussvorsitzenden Burkard Dregger (CDU). An ihn wurden die Unterlagen adressiert. Darüber wird auch zu sprechen sein.

Ist Dregger nach dieser Geschichte noch als Vorsitzender tragbar?

Es ist an ihm, die Aufklärung in den Mittelpunkt zu stellen.

Wenn die Grünen wegen der Akten am Freitag kein Fass mehr aufmachen wollen – was ist bei der Sitzung dann zu erwarten?

Ein sehr spannender Zeuge. Beim Staatsschutz war er zu dem Zeitpunkt, als Amri überwacht wurde, Dezernatsleiter für islamistische Gefährder und Terrorismus. Wir wollen wissen, wie der Staatsschutz aufgestellt war, wie die Fussilet-Moschee beobachtet worden ist. Aus solchen Fragen können wir mehr Rückschlüsse ziehen über die strukturellen Mängel und Probleme im Bereich des Staatsschutzes.

Aus dem Bericht der polizeiinternen Ermittlungsgruppe „Lupe“ sind erste Ergebnisse durchgesickert. Demzufolge wurde bei der Telefonüberwachung Amris jedes vierte Gespräch nicht ins Deutsche übersetzt. Wie bewerten Sie das?

Das ist das Grundproblem zunehmender Überwachung. In der Bundesrepublik werden immer mehr Menschen beobachtet und immer mehr Gesetze beschlossen, die das ermöglichen. Aber die Auswertung funktioniert nicht konsequent. Der Heuhaufen wird immer größer, in dem ich die Stecknadel suche.

Was folgt daraus?

In den Gesprächen mit den Ermittlern geht es deshalb auch darum, herauszufinden, wie es dazu kommen konnte, dass die angeordnete Observation nicht richtig stattfand – damit sich solche Fehler nicht wiederholen. Es geht darum, angesichts beschränkter Ressourcen vernünftige Prioritäten zu setzen. Diese müssen dann auch konsequent umgesetzt werden.

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete unlängst, dass in der Geschäftsstelle des Sonder­ermittlers Bruno Jost im Hause der Senatsinnenverwaltung auch noch Akten zum Fall Amri gefunden worden sind. Jost hat seinen Abschlussbericht bereits im Oktober 2017 vorgestellt. Der Untersuchungsausschuss hätte die Akten also längst bekommen müssen.

Es handelte sich um eine Nachlässigkeit, die inzwischen behoben ist. Die Akten werden nicht unter den Tisch fallen, weil wir noch mindestens zwei Jahre mit der Untersuchung beschäftigt sein werden. Daran kann man auch sehen, wie riesig die Datenmengen und Aktenberge zum Fall Amri sind. Der Untersuchungsausschuss kann sich die Zeit nehmen, gründlich zu untersuchen. Ermittler, die Gefahren beseitigen müssen, haben diese Zeit nicht.

Zum Thema Akten gehört auch, dass das Verfahren gegen zwei Polizeibeamte eingestellt worden ist. Sie sollen einen Bericht über Amris Drogengeschäfte manipuliert haben. Was sagen Sie zu der Verfahrens­einstellung?

Ich respektiere die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, dass das keine Strafvereitelung war. Die Staatsanwälte haben sehr gründlich ermittelt. Sie haben aber auch klipp und klar gesagt: Was die Polizei gemacht hat, war nicht sauber. In der Sache wird ja jetzt disziplinarrechtlich weiterermittelt.

Kann der Untersuchungsausschuss die beiden Beamten nun auch als Zeugen vernehmen?

Wir werden es versuchen. Was den Vorwurf der Strafvereitelung betrifft, haben sie ja nichts mehr zu befürchten. Es könnte natürlich sein, dass sie sich in anderen Punkten auf ein Aussageverweigerungsrecht berufen, um sich nicht selbst belasten zu müssen.

Was versprechen Sie sich von einer Aussage?

Es ist ganz wichtig, die Ermittler an der Basis zu hören, also die Leute, die direkt vor Ort an Amri dran waren. Bislang haben wir vor allem Funktionäre und vorgesetzte Polizistinnen und Polizisten gehört. In Untersuchungsausschüssen ist es oft so, dass die Probleme unten an der Basis abgeladen werden. Dabei gibt es auch viele Führungs- und Organisationsprobleme. Dazu würde ich die beiden Ermittler gern befragen.

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