: Klammern ans Portemonnaie
Die Union kann sich für Macrons Vorschläge zur EU-Erneuerung wenig begeistern, vor allem will sie nicht mehr zahlen. Im Koalitionsvertrag klang das noch anders
Aus Berlin Pascal Beucker
Es klang zu schön, um wahr zu sein. „Wir wollen ein Europa der Demokratie und Solidarität“, schrieben CDU, CSU und SPD in ihren neuen Koalitionsvertrag. Die EU brauche „eine Erneuerung und einen neuen Aufbruch“. Gelingen könne das nur, „wenn Deutschland und Frankreich mit ganzer Kraft gemeinsam dafür arbeiten“. Keine eineinhalb Monate sind seither vergangen. Wenn am Donnerstag Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin seine Aufwartung macht, scheint von den hehren Ansprüchen nicht viel übrig geblieben zu sein.
Insbesondere in der Unionsfraktion hält sich die Begeisterung für „Erneuerung“ und „Aufbruch“ in Europa schwer in Grenzen. So erteilt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt etlichen Vorschlägen Macrons eine Absage – angefangen von der Einführung einer EU-weiten Arbeitslosenversicherung über ein gemeinsames EU-System zur Sicherung von Spareinlagen bis hin zur Installierung eines EU-Finanzministers. Auch einem eigenen Budget für die Eurozone stehe er „kritisch“ gegenüber, sagte Dobrindt am Donnerstag in Berlin
Ähnlich hatte sich bereits am Montag CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer geäußert. Es ließe sich „sehr streitig diskutieren“, sagte sie, „ob es wirklich unsere erste Priorität sein sollte“, einen solchen Eurozonenhaushalt aufzustellen. „Ich glaube, dass es nicht sinnvoll wäre.“ Zunächst müsse geklärt sein, wie sich der Gesamthaushalt der EU durch den Austritts Großbritanniens entwickle.
Im Beisein von Angela Merkel diskutierte die Bundestagsfraktion der Union am Dienstag über ihre Haltung in der EU-Reformdebatte. Trotz aller formulierten Bedenkenträgerei zeigte sich Merkel zuversichtlich, dass Deutschland und Frankreich für den EU-Gipfel im Juni gemeinsame Reformvorschläge vorlegen werden. „Wir werden zum Juni hin mit Frankreich gemeinsame Lösungen finden“, sagte Merkel. „Es geht bei Weitem nicht nur um die Frage, wie entwickelt sich die Eurozone weiter“, mahnte sie aber. Für sie seien Fortschritte in der gemeinsamen Verteidigungs- oder Forschungspolitik ebenso wichtig.
Die Zurückhaltung der Union hat nicht zuletzt pekuniäre Gründe: „Der Knackpunkt sind für uns die Fragen, die eine direkte finanzielle Auswirkung haben“, sagte Dobrindt offenherzig. Das ist etwas erstaunlich. Denn im Koalitionsvertrag heißt es noch: „Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann.“ Und: „Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.“
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles ermahnte die Unionsparteien denn auch zur Vertragstreue. Sie sei „verwundert“, dass vom Koalitionspartner „sehr viele rote Linien genannt worden“ seien, „die ich nicht akzeptieren kann“, sagte Nahles. Die Ziele in der Europapolitik seien im Koalitionsvertrag klar benannt. „Und ich bestehe auch darauf, dass die eingehalten werden“, sagte Nahles, die sich am Wochenende auch zur neuen SPD-Parteichefin wählen lassen will.
Allerdings bremst nicht nur die Union bei zentralen Forderungen zur Reform der EU-Finanzen. Auch SPD-Finanzminister Olaf Scholz hatte sich unlängst zurückhaltend zu Frankreichs Plänen geäußert.
Scharfe Kritik kommt von den Grünen. Die Große Koalition definiere die Interessen Deutschlands in Europa „mit der Mentalität eines Erbsenzählers“, sagte deren Fraktionschef Anton Hofreiter. Die EU dürfe jedoch nicht an nationalem Egoismus und parteipolitischem Kleingeist dieser Regierung scheitern. „Wenn Union und SPD sich ihrer europäischen Verantwortung nicht stellen, wird diese Bundesregierung zum europäischen Systemrisiko, statt Europa krisenfester zu machen.“
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