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: Extremismus des Körpers

Wer sein Kind zum Leistungs­sportler macht, muss wissen, worauf er sich einlässt

Wollen wir das wirklich? Soll unser Kind in die Mühle des Leistungssports geraten, wo der kindliche Wille und der Spaß so lange kleingemahlen werden, bis am Ende nur Frust und stupende Selbstdisziplin als krümelige Sub­stanz übrig bleiben? Soll das Kind von menschlich abgestumpften Trainern abgerichtet werden, um als sportiver Staatsdiener Medaillen ranzuschaffen? Die Fragen sind unvermeidlich. Und sie werden nicht nur von Helikopter-Eltern gestellt, denen man nachsagt, besonders empfindsam und beschützend im Umgang mit ihren Kindern zu sein.

Soll die Tochter in einen Leichtathletikverein gehen, wo der Trainer das Verhältnis zu seinen Läuferinnen als das Verhältnis zwischen einem Zuhälter zu seinen Prostituierten beschreibt? Wer beschützt unsere Kinder in einem Risiko­umfeld, wo übergriffiges Verhalten, sexueller Missbrauch und der mit Medikamenten ein systemisches Problem darstellen? Leisten wir aus Leichtfertigkeit Beihilfe zur Kinderschändung? Ist das Gefasel von der Ausbildung sozialer Kompetenzen im Sport nicht pure Heuchelei von Sportpolitikern und Funktionären, die damit das Scheußliche des Drills und des Drucks kaschieren wollen?

Die Fragen sind viel zu plakativ, viel zu negativ? Mag sein, dass sie tendenziös sind, aber sie sind aus Erfahrung tendenziös. Wenn andere Eltern den Spaß am Spiel und an der Bewegung sehen, dann sieht der Sportredakteur schon die Folgeerscheinungen: eine Zukunft, in der aus Ehrgeiz bitterer Ernst geworden ist. Klar, Sport ist eine wunderbare Sache. Leistungssport leider nicht immer. Er ist nichts anderes als ein Extremismus des Körpers und des Willens. Dabei lässt sich nicht sagen, wer nun die größeren Extremisten sind: die Eltern, die Sportler oder die Trainer. Sie müssen wohl alle irgendwie besessen davon sein, aus dem Körper eine Maschine zu machen, ihn zu tunen und aufzumotzen wie einen Formel-1-Boliden.

Wenn Kinder derart instrumentalisiert werden, dann wiegt das um einiges schwerer, als wenn sich Erwachsene den Zumutungen des Leistungssports aussetzen. Kinderkörper scheinen nicht nur verletzlicher und schutzbedürftiger zu sein, sie sind es auch. Über geschundene Kinder mag sich die Öffentlichkeit noch erregen. Wenn ein 25-Jähriger übertreibt, dann heißt es mitleidslos: Er hat ja gewusst, wohin das führen kann.

Est modus in rebus, sagt Horaz. Es gibt ein (gesundes) Maß in allen Sachen, eine goldene Mitte, in der das Leben gelingt. Auch im Sport gibt es diese goldene Mitte: den Breitensport. Das ist ein Sport, dem man sich nicht mit Haut und Haar verschreibt, den man so nebenher macht. Ein Sport ohne Übertreibungen. Aber das ist natürlich fad in einer Gesellschaft, die die Erregung sucht. Und was ist unterhaltsamer als ein 100-Meter-Sprint mit Modellathleten, die diese Strecke unter zehn Sekunden laufen? Was ist spannender als ein Cham­pions-League-Finale mit Fußballern, die Gladiatoren gleichen?

Die Klage über den Leistungssport ist berechtigt – aber auch ein bisschen bigott. Man möchte ja eigentlich weiterhin die Zuchterfolge im Spitzensport sehen. Der eigene Nachwuchs soll aber bitteschön nicht zur Rekrutierung herangezogen werden. Das können gern die übernehmen, die in der Sportkarriere ihrer Kinder die große soziale Aufstiegschance wittern. Eine Leistungssportenthaltsamkeit muss man sich leisten können.

Aber es muss ganz ohne Dünkel erlaubt sein, die Risiken und Nebenwirkungen des Leistungssports zu benennen: Er ist nicht gesund. Er kann ins Abseits führen. Erwartungen können bitter enttäuscht werden. Sage kein Vater, keine Mutter, sie hätten nicht gewusst, worauf sie sich einlassen. Markus Völker