Gefahr per Gesetz
Eine Podiumsdiskussion zerlegt das geplante neue Polizeigesetz, noch bevor es Unheil stiften kann. Dass es das tun wird, bleibt indes konkret wahrscheinlich
„Einfach Karlsruhe abschreiben, das ist Schwachsinn“
Clemens Arzt, StaatsrechtlerVon Benno Schirrmeister
Der Entwurf für’s neue Polizeigesetz ist vorerst zurückgezogen. Die Innendeputation berät darüber noch nicht, das Ressort bessert nach: Diese gute Nachricht durfte Dienstagabend Hendrik Wübbenhorst überbringen, der beim Innensenator die Novelle betreut.
Für ihn dürfte es das Highlight des Abends gewesen sein. Denn sonst war er in der Podiumsdiskussion, zu der Humanistische Union und der Verein Digitalcourage ins Gewerkschaftshaus geladen hatten, vor allem dafür da, Kloppe zu kassieren – im übertragenen Sinne. Brechend voll war der Saal. Fans des Gesetzesvorhabens gaben sich keine zu erkennen. Und die handwerklichen und inhaltlichen Mängel des Entwurfs legten die Fachleute rücksichtslos offen. So analysierte Ingeborg Zerbes, Direktorin des Bremer Instituts für Kriminalpolitik, dessen neuen Gefahrenbegriff, mit dem die Überwachungsbefugnisse der Polizei ausgeweitet werden sollen: Das Telefon anzuzapfen soll demnach möglich sein, wenn das Verhalten der betroffenen Person „die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb absehbarer Zeit eine terroristische Straftat begehen wird“.
Was das bedeutet – konnte auch Wübbenhorst nicht sagen. Ein Problem, denn, so Zerbes: „Ich sollte mindestens wissen, durch welche Verhaltensweisen ich riskiere, von der Polizei überwacht zu werden.“ Sonst zerfalle die Rechtssicherheit. Wübbenhorst verteidigte die Formulierung als Übernahme aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKA-Gesetz).
Einer solchen Copy-and-Paste-Gesetzgebung erteilte der Berliner Staatsrechtler Clemens Arzt eine Absage: „Einfach Karlsruhe abschreiben, das ist meiner Ansicht nach Schwachsinn.“ Tatsächlich legt ein Verfassungsgerichtsurteil den Rahmen und nicht den Inhalt einer Norm fest. Die sei im Hinblick auf die Anwendung zu formulieren, also so, dass „der Bürger, die Polizei und das Gericht sie verstehen“, sagte Arzt. Andernfalls verkommt die Gesetzgebung zur bloßen Show.