Hunger in der Hasenheide: Haftstrafen für Mundraub

Zwei Männer, die eine Ziege aus dem Zoo der Hasenheide töteten, müssen für neun beziehungsweise zehn Monate ins Gefängnis.

Diese Ziege überlebte die Grüne Woche. Foto: dpa

Die beiden jungen Männer, die vor rund sechs Wochen eine Angoraziege aus dem Streichelzoo in der Hasenheide getötet haben, müssen für zehn beziehungsweise neun Monate in Haft. Das Amtsgericht Tiergarten sprach die rumänischen Staatsbürger Nicussor-Razvan V. und Mihaita-Iulian B. am Mittwoch des schweren Diebstahls sowie des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz schuldig. Zur Begründung sagte Richterin Marion Buggel, eine Aussetzung zur Bewährung komme nicht infrage, weil die beiden Rumänen in ungesicherten Wohn- und Arbeitsverhältnissen lebten – ein Rückfall also nicht ausgeschlossen sei.

V.s Anwalt Benjamin Düsberg nannte das Urteil „vollkommen absurd“. „Armut als Haftgrund: Früher war Mundraub privilegiert, jetzt wirkt es strafverschärfend!“ Er kündigte an, in Berufung zu gehen.

Der Sachverhalt an sich ist unstrittig, auch weil beide Angeklagten am ersten Prozesstag vor einer Woche geständig waren. Sie waren am späten Abend des 18. Februar über den Zaun des Streichelzoos in dem Neuköllner Park geklettert, hatten der Ziege – die sie aufgrund ihres gelockten Fells für ein Schaf hielten – mit einem Küchenmesser die Kehle durch- und ihr ein Bein abgeschnitten. Anwohner hatten die Schreie des Tieres gehört und die Polizei alarmiert. Diese fasste die Männer noch beim Rückzug über den Zaun, mit dem Bein im Rucksack.

Keinen Lohn bekommen

Die Männer hatten erklärt, sie hätten aus Hunger gehandelt. Beide waren erst wenige Wochen in Berlin, hatten Arbeit auf dem Bau, wie so oft ohne Vertrag. In V.s schriftlicher Einlassung heißt es, er habe erst 500 Euro bar bekommen, „aber das Geld ging alles für die Miete weg. Mein Freund hat fast gar keinen Lohn bekommen“, nur ab und zu 5 bis 10 Euro auf die Hand.

Am fraglichen Abend hätten sie fast kein Geld mehr gehabt, so V. Sie hätten ihr Hungergefühl erst „mit einigen Bieren betäubt“, das habe aber nicht gereicht. Dann hätten sie im Park einen „Bauernhof und eben diese Schafe“ entdeckt, das Messer geholt und das Tier getötet. Erst ihr Anwalt habe sie später über den Streichelzoo für Kinder aufgeklärt, so V. Er sei auf dem Land aufgewachsen und habe Erfahrung mit dem Schlachten. Weil sie das ganze Tier nicht über den Zaun hätten mitnehmen können, hätten sie sich nur ein Bein abgeschnitten.

Staatsanwältin Ramona Tolks­dorf sagte in ihrem ­Plädoyer, dem Argument mit dem Hunger könne sie nicht folgen. Die Angeklagten hätten ja noch ein paar Euro gehabt und auch Geld für Bier ausgegeben, also auch Essen kaufen können. Sie hätten zudem „kriminelle Energie“ und Vorsatz bewiesen, indem sie das Messer eigens von zu Hause geholt hätten. Zudem sei die Ziege durch das Schächten einen „qualvollen Tod“ gestorben.

Die Männer hatten erklärt, sie hätten aus Hunger gehandelt

Die Verteidiger hingegen plädierten beide dafür, dass Hunger ein sehr „vernünftiger Grund“ sei, ein Tier zu töten – ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz also nicht infrage komme. Danach ist nämlich die Tötung eines Wirbeltiers „ohne vernünftigen Grund“ mit Haft bis zu drei Jahren zu bestrafen. „Essen ist ein vernünftiger Grund“, so Düsberg, „sonst müssten wir alle unseren Fleischkonsum sofort einstellen.“ Es sei auch nachvollziehbar, Bier zur Betäubung gegen Hunger und Kummer zu trinken, und nicht sein letztes Geld für Essen auszugeben, wenn man nicht weiß, wann man wieder welches bekommt.

Düsberg wies zudem auf den Widerspruch hin, dass Tiere laut Bürgerlichem Gesetzbuch inzwischen „keine Sache“ mehr sind, im Strafgesetzbuch dagegen in Analogie zu Sachen betrachtet werden. Wenn die Ziege eine Sache sei, sei der Diebstahl eines Beines nur eine Bagatelle angesichts des Gesamtwerts der Ziege von 150 bis 200 Euro, so Düsberg. Von „schwerem Diebstahl“ könne zudem nicht ausgegangen werden, weil das Küchenmesser nicht als Waffe gedacht, sondern zum Töten des Tieres notwendig gewesen sei.

„Gefährliche Waffe“

Die Richterin folgte jedoch weitgehend den Argumenten der Staatsanwaltschaft. Das Küchenmesser sei eine gefährliche Waffe, der Diebstahl zudem Einbruch, weil ein hoher Zaun überwunden werden musste. Gleichzeitig sei auch der Tierschutz betroffen: „Wenn ich Appetit auf Schaffleisch habe, gibt es keinen Grund, eine Ziege zu töten.“

Erschwerend bewertete Richterin Buggel zudem die Vorstrafe von V. Er war Ende Januar in einem Schnellverfahren für den Diebstahl von Shampoo und Eau de Toilette im Wert von 50 Euro bei Netto zu 20 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt worden.

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