piwik no script img

Neid Fever

Wir kennen ihn alle und doch taugt er für keinen Smalltalk: der Neid. Bei näherer Betrachtung zeigen sich seine zwei Gesichter. Über ein Gefühl jenseits von Gut und Böse, zwischen Tabuisierung und gesellschaftlicher Notwendigkeit

Von Hendrik Pannemann und Tobias Ritterskamp

Neid unter Freunden. Neid in der Familie. Neid in der Arbeitswelt. Willkommen in der Neidgesellschaft! Er ist allgegenwärtig. Neid ist ein elementarer Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens. Warum aber wird so wenig darüber gesprochen?

In Zeiten, in denen wir scheinbar bereit sind, alles (online) von uns preiszugeben, und Transparenz ein geflügeltes Wort ist, versuchen wir, den Neid möglichst in den dunklen Ecken unserer Persönlichkeitskulisse zu verstecken. Neid ist eines der großen Tabus, ein Eingeständnis ins eigene Unvermögen. Wer gibt schon gerne zu, anderen Erfolgs- und Glücksmomente zu neiden? Wer gesteht sich denn ein, genauso beliebt sein zu wollen wie die charmante Arbeitskollegin? Ist es nicht viel bequemer, den Leistungen der anderen ihren Glanz zu nehmen? Neid findet zuverlässig das Haar in der Suppe.

Eine Welt ohne Neid wäre zweifelsohne kooperativer. Stattdessen sind Menschen neidisch, missgünstig, misstrauisch; ein kläglicher Versuch, unser Selbstwertgefühl aufzupäppeln, das dafür im Gegenzug Solidarität verhindert. Der Kölner Sozialpsychologe Jan Crusius beobachtet, dass wir uns vor allem innerhalb unserer jeweiligen Bezugsgruppen vergleichen. Gönnen wir unseren Freunden im Zweifel besonders wenig?

Das Streben nach Erfolg ist Teil unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft. Ein Muster, dem wir uns nicht entziehen können. „Es sind Situationen, in denen wir uns nicht in der Lage sehen, die persönlichen Nachteile auszugleichen, die unsere Missgunst befördern. Und diese leben wir immer dann aus, wenn unsere Selbstkontrolle aussetzt“, sagt Crusius. Handeln wir impulsiv, dann greift das Fieber um sich und es wird verständlich, warum der Neid seit Jahrhunderten und religionsübergreifend als Laster gesehen wird. Sollten wir daher nicht lieber unsere Neidgefühle sozialverträglich temperieren?

Neid führt nicht per se zu destruktiven Verhaltensweisen. „Es gibt bösartigen und es gibt gutartigen Neid“, weiß Crusius. Neid ist wie ein Januskopf, mit der Fähigkeit zu zerstören wie auch zu erschaffen. Er spornt uns zu Höchstleistungen an oder bringt uns – manchmal – auf originelle Ideen. Er motiviert uns, zu anderen aufzuschließen, wenn nicht gar diese zu übertrumpfen. Für den fast vergessenen Soziologen Helmut Schoeck ist Neid eine Voraussetzung für die Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten. Er bildet untrüglich unsere Wünsche und Sehnsüchte ab. Vielleicht ist er sogar Quelle und Motor von Innovation.

Man könnte sogar noch weitergehen und behaupten, dass Gesellschaften ohne Neid zusammenbrechen. Schoeck drückt es weniger drastisch aus. Neid ist Teil der menschlichen Existenz und gestaltet subtil unser Miteinander. Besteht also das Bedürfnis, ihn loszuwerden, so streben wir damit zugleich (unbewusst) das Ende gesellschaftlichen Zusammenlebens an. Diese Konsequenz sollte man stets mitdenken. Wenn wir für die Überwindung des Neides und damit ungewollt für die Vereinzelung der Menschen plädieren, büßen wir zunehmend unsere Sozialkompetenz ein.

Was wir gänzlich zu verlernen drohen, ist Zusammenhalt. Neid stellt deshalb in dem Maße eine Notwendigkeit dar, wie er das Funktionieren von Gesellschaften gewährleistet. Oder philosophischer: Die Neidfähigkeit leistet ihren Beitrag zur Menschwerdung.

Neid lässt sich nicht verbergen, er erfüllt seinen Zweck. Gleichwohl darf er nicht zur Handlungsmaxime werden und ist nur in solchen Maßen zuträglich, wie er unser gesellschaftliches Zusammenleben nicht gefährdet.

Come on! Dancing with the Neid!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen