Afrofuturismus-Schau in Dortmund: Der Sound des schwarzen Atlantis

Die Ausstellung „Afro-Tech And the Future of Re-Invention“ in Dortmund fusioniert Teile der Popkultur mit Sklavereigeschichte.

Eine Frau hält eine Folie

Simon Rittmeier: „Drexcya“ (Courtesy of the Artist 2017). VG-Bild/Kunst Bonn Foto: HMKU im Dortmunder U

Das Meer ist ein Schlund. Unter seiner Oberfläche sind viele Leichen verschwunden. Hier und heute ist es das blaue Mittelmeer, das Opfer aus Syrien oder der Miseren in Afrika verschluckt. In der Geschichte war es der Atlantik, der die Gräuel der Sklaventransporte zwischen Westafrika und der Neuen Welt so gut verbarg. Die Versklavten waren während der berühmten „Middle Passage“ nichts weiter als materielle Fracht. Waren Frauen schwanger, wurden sie einfach über Bord geworfen. Der Künstler William Turner zeigte auf seinem Skandal-Gemälde „Sklavenschiff“ nur noch das Bein einer Schwarzen, deren Leib von den tosenden Wellen des Ozeans verschlungen war.

Der Brite Turner machte sich 1840 zum Anwalt der Namenlosen. Doch wie sprechen die Betroffenen? Mit Aberwitz, wie es der Mythos um eine Stadt namens Drexciya in den Tiefen des Atlantiks zeigt: Die Föten in den toten Leibern ihrer über Bord geworfenen Mütter sollen in diesem Mythos gelernt haben unter Wasser zu atmen, und – einmal geboren – eine eigene Zivilisation im Ozean aufgebaut haben.

Der utopische Ort Drexciya ist die Fiktion eines gleichnamigen Techno-Duos aus Detroit. In den Neunzigerjahren fanden die Afroamerikaner James Jamses Stinson und Gerald Donald mit dem metallischen Sound von Drummachines und Synthesizern einen Sound für dieses schwarze Atlantis. Ihre Vision einer hypertechnischen, egalitären Unterwasserwelt strahlten Drexciya in einer Zeit aus, in der ihre Heimat, die Industriestadt Detroit, „Motorcity“, gerade vom Zerfall begriffen war.

More brilliant than the sun

„Noch heller als die Sonne“ – so beschreibt der britische Literaturwissenschaftler Kodwo Eshun die fiktionale Kraft von Künstlern wie Drexciya, die eigene Erfahrung von der afrikanischen Diaspora und die Trübnis ihrer Gegenwart in eine spekulative Zukunft umzukehren. Der Afrofuturismus, den Eshun 1998 in seinem Essay umriss, ist eine emanzipative Haltung, er wurde zur künstlerischen Bewegung, die Pop, Literatur, Film und die bildenden Künste gleichsam umfasst.

Der Dortmunder Hartware MedienKunstVerein widmet dem Afrofuturismus gerade eine Ausstellung. In „Afro-Tech And the Future of Re-Invention“ berichten 32 Künstlerinnen mit afrikanischem Wurzeln, darunter das Duo Drexicya, der schillernde Jazzmusiker Sun Ra und die Videokünstlerin Tabita Rezaire, von Krieg, Müll, Armut und Ungleichheit. Doch ihre Figuren sind Helden. Auf den Fotografien von Fabrice Monteiro erhebt sich ein Schamane aus einem Gebirge aus Elektroschrott und auf Wangechi Mutus Videoprojektion faucht eine Pech speiende Gaia – gespielt von der Popmusikerin Santigold – über die Weltverhältnisse.

Afrofuturismus kehrt Erfahrungen der Diaspora und Trübnisse der Gegenwart in spekulative Zukunft

In Neil Beloufas wunderbarem wie einfachem Film „Kempinsky aus Mali“ sind es simple Passanten der Zukunft, die zu Wort kommen. Auf nächtlichen Parkplätzen treten sie mit fluoreszierenden Lampen aus dem Dunkeln und sprechen über eine magische Ferne, als würde sie gerade stattfinden: „Wir reisen mithilfe des Lichts, der Klänge, der Ideen. Von hier bis zum Nordpol brauche ich weniger als eine Minute.“

Vision und Trash

Die Erzählungen der Laiendarsteller werden aber von der schlichten Aufnahmequalität und ärmlichen Kulisse gebrochen. Diese makelhafte Verknüpfung von Wunsch und Realität, Vision und Trash ist ein stetes Stilmittel in der Ausstellung. Wie der Wurm im Apfel eines barocken Vanitas-Stilllebens ziehen sich Brüche durch die glamourösen Figuren und utopischen Szenerien, wird die Wirklichkeit immer wieder ins Bild gerückt.

Die New Yorker Urfigur des Afrofuturismus, der Rapper, bildende Künstler und Graffiti-Writer Rammelzee, konstruierte etwa seine feuerspuckenden Exoskelette aus Ramsch, und die Fotografien von Kiluanji Kia Henda dokumentieren nur vermeintlich Ugandas Ambitionen in den Sechzigern, wie die USA und die UdSSR am „Wettlauf zum Mond“ teilzunehmen. Denn die futuristischen Bauwerke mit spitzen Betonarmen und Prismafassade aus den ersten Jahren der Unabhängigkeit, die der Künstler ironisch als Indiz für ein geheimes Raumfahrtprogramm Ugandas deutet, verfallen längst in den Hinterhöfen einer wuchernden Stadt.

"Afro-Tech and the Future of Re-Invention", bis 22.April im Hartware Medienkunstverein Dortmund

Für „Afro-Tech And the Future of Re-Invention“ muss man viel Zeit mitbringen. Mustergültig versuchen die Kuratorinnen Inke Arns und Fabian Saavedra-Lara die unscharfen Konturen einer kulturellen Ästhetik abzuarbeiten, die von der afroamerikanischen Literatur und Popmusik der Siebziger zur Kunst der Gegenwart in Afrika und von einer Subkultur bis zur Massenkultur reicht, wie der Kino-Blockbuster „Black Panther“ es gerade vor Augen führt. Allein zwölf Filme zeigen die Kuratoren. Dazu gehört die wilde Odyssee einer Wettersprecherin in die Zwischenwelt Dimsi von Jean-Pierre Bekolo. Der magische Realismus des wohl bekanntesten Filmregisseurs aus Kamerun ist vieles: feministisch, Black Sci-Fi, Horror, experimentell.

Das Meer als düstere Metapher für die afrikanische Diaspora bleibt Leitmotiv der Ausstellung. Die Otolith-Group – unter anderem mit Kodwo Eshun – taucht in ihren kontemplativen Videoaufnahmen von ozeanischer Gischt und meerumspülten Felsen auch wieder in das mythische Drexciya hinab. Dort folgt sie mit poetischen Textcollagen den atlantischen Strömem, der von Bord geworfenen Körper und schließlich dem Finanzkapital zwischen Europa und Amerika.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.