piwik no script img

Mit reichlich Wucht und Swing

Sie könnten einem Roadmovie entsprungen sein, das die USA einmal weit vom Süden in den Norden ausmisst, aber sie sind vor allem in Berlin rumgekommen: die Band „Möbelkammer“ in der Volksbühne

Möbelkammer, mit Anke Marschall, Fee Aviv Marschall, Antje Schulz vorn Foto: Roland Owsnitzki

Von Robert Mießner

Hand aufs schwarze Herz, wann haben wir, wann haben Sie die Berliner Volksbühne (immer noch am Rosa-Luxemburg-Platz) das letzte Mal fingerschnippend verlassen? Am Gründonnerstag war das drin, als die Newcomerband Möbelkammer im Grünen Salon mit zwei Sets aufspielte und eine Zuhörerin hinterher meinte, sie habe selten 50 Leute erlebt, die applaudierten, als wären sie zu 100. Möbelkammer wurden in der Pressemitteilung angekündigt als „Hausband der Volksbühne, benannt nach jenem Ort im Gebäude, an dem einiges aufbewahrt wird, was es schon immer gab oder doch ganz neu ist“.

Hausband? An einem Theater? Keine Sorge, Freunde der Abendunterhaltung, die Volksbühne ist noch nicht Andy Warhols Factory und Möbelkammer nicht Velvet Underground (so verdienstvoll sie waren). Möbelkammer spielen charmant-eigenwillige Coverversionen aus Jazz, Soul, Rhythm ’n’ Blues und Klezmer: Carole Kings und Gerry Goffins „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“ oder George und Ira Gershwins „Oh, Lady Be Good!“ sind dabei oder Sholom Secundas und Jacob Jacobs „Bei mir bistu shein“ und „Stranger to my happiness“ von Sharon Jones, deren Band The Dap-Kings Amy Winehouse’ Album „Back to Black“ zu seinem Retro-Charme verhalf.

Dessen Titelsong war im zweiten Set von Möbelkammer zu hören, die da sind: Eike Grögel an den Saxofonen und der kanadische Pianist Sir Henry, seit 1997 der Volksbühne als Hauskomponist verbunden.

Nur eine Party im Haus

Am Schlagzeug sitzt Jan Wüstenberg, den Bass spielt Fee Aviv Marschall. Weit vorne aber an der Bühne ein Girltrio: die Sängerinnen Anke Marschall, Antje Schulz und Yvonne Schulz. Sie und mit ihnen das ganze Septett könnten einem Roadmovie entsprungen sein, das die USA einmal weit vom Süden in den Norden ausmisst, sagen wir von Vermont nach Texas. Möbelkammer sind bis dato aber eher in Berlin rumgekommen, haben auf privaten Feiern und Veranstaltungen gespielt, so zum Beispiel im Kulturwohnzimmer Haus der Sinne im langsam Richtung Kleingarten auslaufenden Prenzlauer Berg.

Das Konzert im Grünen Salon war ihr erster öffentlicher Einzelauftritt. Gelegentliche Pannen machten ihn noch einnehmender: Einmal verabschiedete sich der Gurt von Marschalls Bassgitarre, was in einen akrobatischen Spurt und Stunt von Grögel mündete, der die Malaise behob. Wem im Line-up von Möbelkammer die E-Gitarre fehlt, der oder die sei getröstet; es braucht das rockistische Instrument hier nicht.

Sir Henry spielt sein Piano, gerne in den Moll-Lagen, mit reichlich Wucht und Swing; Grögel schafft es, einem schwerfällig anmutendem Instrument wie dem Baritonsaxofon ein grooviges Brummen zu entlocken. Zum Charme der Band gehört, dass sie als Zugabe einen Song des ersten Sets einfach noch mal spielen: „Bye Bye Bye“ von der Boyband NSYNC. Er klingt besser bei Marschall und Schulz! Ein schöner Abend, in der Tat.

Man möchte fingerschnippend weiter, doch befindet man sich an der Volksbühne am Beginn des Osterwochenendes. Zu einer Zeit also, da Atheisten und Agnostiker aller Glaubensbekenntnisse eh etwas in der Luft hängen, muss man feststellen: Neben der Party im Grünen Salon ist das Haus so gut wie dunkel und wirkt verwaist. Ein Blick ins Programmheft: Der Möbelkammer-Auftritt war die einzige Veranstaltung dieses Abends.

Überhaupt beschleicht einen der Eindruck, als würde an der Volksbühne seit dem Intendantenwechsel von Frank Castorf zu Chris Dercon ein nach wie vor oft exzellentes Musikprogramm gefahren, so zum Beispiel mit Abenden für den Experimentalkomponisten Tony Conrad oder dem Konzert der Artrock-Band Sandow vom Januar dieses Jahres. Nur macht das noch kein Theater. Zu ihm gehört stimulierende Verunsicherung, aber nicht lähmende Ratlosigkeit.

Die jedoch macht sich seit Herbst vorigen Jahres zusehends bei Besuchern und Rezensenten des, nennen wir es in der Marketingsprache mal kokett, „Kerngeschäfts“ der Volksbühne, bemerkbar. In der taz ist die neue Intendanz divers und kontrovers diskutiert worden, es gab (auch aus dieser Feder) einen Vorschuss an Vertrauen und Lorbeer. Der wird mit jedem Schritt fort vom Haus, wie ein aufgegebenes stolzes Schiff liegt es da, zusehends weniger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen