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Positive Beunruhigung

Aus dem Expertenrat des Humboldt Forums ist sie ausgetreten.In ihrem Buch plädiert Bénédicte Savoy für eine radikalneue Perspektive im Umgang mit Kunst

Bénédicte Savoy berät Macron bei der Restitution von kolonialer Raubkunst Foto: David Ausserhofer

Von Aram Lintzel

Als der französische Präsident Emmanuel Macron im November erklärte, dass er afrikanische Kulturschätze und menschliche Überreste aus der Kolonialzeit zurückgeben wolle, wurde dies auch in Deutschland als überfälliger Befreiungsschlag aufgenommen. Denn hierzulande kommt die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte weiterhin schleppend voran; erst langsam löst man sich von der hartnäckigen Beschwichtigungsbehauptung, Deutschland sei doch nur eine unbedeutende Kolonialmacht gewesen.

Zum zentralen Terrain der Debatte um die deutsche Kolonialgeschichte ist aber nicht die in den USA anhängige Entschädigungsklage von Herero aus Namibia geworden, sondern das kulturelle Erbe: Was soll mit all den Kulturgütern geschehen, die während der ­Kolonialzeit nach Deutschland verbracht wurden? Nicht zuletzt die andauernde Debatte um das Humboldt Forum und die Frage, wie die ethnologischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dort repräsentiert werden sollen, zwingt die ­politisch Verantwortlichen, ihre diskursverweigernde Haltung aufzugeben.

So bekennt sich die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag zur Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen. Ein notwendiger Schritt, angesichts der skandalösen Situation, dass niemand genau weiß, was in den ethnologischen und anthropologischen Sammlungen eigentlich an Objekten aus Kolonialzusammenhängen lagert. Nur das Wenigste wurde bisher inventarisiert. Die in Berlin lebende französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat dies im Sommer 2017 in einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit dramatischen Worten angeprangert, als sie sagte, das Humboldt Forum sei wie Tschernobyl unter einer Bleidecke begraben. Kurz zuvor war Savoy aus dem Expertenrat des Humboldt Forums ausgetreten.

Bénédicte Savoy: „Die Provenienz der Kultur“. Matthes & Seitz, Berlin 2018, 72 S., 10 Euro

Inzwischen wurde Savoy neben dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr von Macron zur Beraterin bei der Restitution von kolonialer Raubkunst ernannt. Savoy lehrt an der Technischen Universität Berlin und am Collège de France in Paris. Für Matthes und Seitz hat sie ihre Antrittsvorlesung am Collège überarbeitet und erweitert. Der kleine Text beginnt nicht als kulturpolitische Positionsbestimmung, sondern als sehr persönliche Faszinationsanalyse. Anhand „dreier alter Freundinnen“ – dem Kopf des Echnaton, einer Perlenskulptur aus Kamerun und einer Statuette aus dem 15. Jahrhundert – beschreibt sie die „positive Beunruhigung“, die sie beim Besuch eines Museums heimsucht.

Bei aller Liebe spricht Savoy die ambivalente Rolle des Museums an. Das Museum, so Savoy, „absorbiert und assimiliert“, aber es ist eben auch „der Ort einer physischen Begegnung mit fremden Welten, das Archiv der menschlichen Kreativität, einer jener Orte, wo die Geschichte die Zukunft anbahnt“. Savoy betreibt so etwas wie solidarische Institutionskritik, und gerade weil sie die Institution Museum so schätzt, unterzieht sie ihre Legitimität einer kritischen Betrachtung. In der Vorlesung findet sich eine subtilere Version der Tschernobyl-These, wenn sie von der „Wiederkehr des verdrängten Kolonialen“ spricht.

Anders gesagt: Was da in Tausenden Kisten in Museumskellern lagert, ist buchstäblich das kollektive Unbewusste der westlichen Kulturnationen. Das Verdrängte und Verstaubte müsse ans Licht geholt und durchgearbeitet werden, allein aus Achtung vor den Enteigneten und ihrer Trauer um das Verlorene. Um die Museen zu dekolonisieren und die Erwerbsbedingungen und Sammlungsgeschichten kolonialer Objekte für das Publikum transparent zu machen, plädiert Savoy für eine institutionskritische Operation, die sie „kulturgeschichtliche Innenschau“ nennt.

Savoy sagte, das Humboldt Forumsei wie Tschernobyl unter einer Bleidecke begraben

Diese Selbstreflexion westlicher Kultureinrichtungen sei weitaus komplizierter als „Selbstgeißelung oder übereilte Restitution“. Vielmehr sollten historische Zusammenhänge von Objekten sichtbar gemacht werden, und das nicht als Monolog, sondern multiperspektivisch im Gespräch mit Experten aus den ehemaligen Kolonien. Erst am Ende eines langen interdisziplinären Forschungsprozesses könne sinnvoll entschieden werden, was zurückgegeben werden sollte und was womöglich in westlichen Museen besser aufgehoben ist. Savoy nimmt auch hier eine behutsam abwägende Haltung ein, als Gewährsfrau einer radikalen „Alles zurückgeben“-Position, wie sie von manchen postkolonialen Aktivisten vertreten wird, eignet sie sich kaum.

Am Ende ihrer flott zu lesenden Vorlesung schreibt Savoy, dass zur Innenschau auch „luzide Träume“ gehören könnten, etwa neue juristische Konstruktionen, neue Formen von Partnerschaften und experimentelle Ausstellungsmodelle in den ehemaligen Kolonien. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie der französische Präsident aus den Träumen seiner Beraterin handfeste Politik macht.

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