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„Das Unkraut einfach stehen lassen“

Wiesenforscherin Anne Ebeling über die Verletzlichkeit der Tier- und Planzenwelt

Foto: privat

Anne Ebeling

forscht am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Jena und ist wissenschaftliche Koordinatorin des Jena-Experiments.

Interview Ulrike Fokken

taz: Frau Ebeling, lassen Sie uns über Ihre Projektwiese sprechen. Wie beeinflussen Pflanzen die verschiedenen Insekten dort?

Anne Ebeling: Fast alle Insekten- und auch Spinnenarten profitieren von vielen verschiedenen Gräsern und Kräutern. Bienen, Hummeln und andere Bestäuber finden auf einer artenreichen Wiese das ganze Jahr ständig Nahrung. Die verschiedenen Bienenarten leben ja nur eine kurze Zeit im Jahr, in der sie für Nachwuchs sorgen. Auf unserer vielfältigen Wiese hat den ganzen Sommer über immer eine Pflanze geblüht, sodass die Bienen immer ausreichend Nahrung zur Verfügung haben.

Die Vielfalt der Pflanzen schafft erst die Vielfalt von Lebewesen?

Ja, alles, was man auf Pflanzen­ebene verändert, wirkt sich kaskadenartig auf alle anderen Lebewesen aus. Pflanzen fressende Insekten werden von der Vielzahl der Pflanzen beeinflusst, die wiederum beeinflussen die Fleisch fressenden Insekten und Spinnen.

2013 hat ein Hochwasser die Wiese im Juni geflutet. Wie hat sich das ausgewirkt?

Während der drei Wochen starben viele Insekten, an jedem Halm klammerten sich Ameisen, auf jedem Pfosten saßen Käfer und Schnecken. Nach dem Hochwasser waren kaum noch Insekten zu finden, und in den Jahren danach ist die Zahl von Tieren und Arten enorm zurückgegangen. Die Gemeinschaft der Tiere hat sich komplett geändert. Bei den Heuschrecken sind zum Beispiel vorher dominante Arten zurückgegangen, dafür haben zuvor seltene Arten die dominante Rolle übernommen.

Überlebt das Ökosystem Wiese so eine extreme Störung?

Die Pflanzen haben sich alle wieder gut erholt. Aber alle Lebewesen, die an den Pflanzen wohnen, brauchen länger, je nachdem, wie groß und mobil sie sind. Ein Grashüpfer ist schneller wieder an dem angestammten Platz als ein Regenwurm.

Ist das schlimm?

Jede einzelne Art ist wichtig. Jede Insektenart verändert das System – ob sie da ist oder nicht. Die eine frisst, die andere saugt, die eine ist groß, die andere ist klein. Jede dieser Arten mit ihrem eigenen Set an Merkmalen macht was anderes und nimmt einen anderen Raum im Ökosystem ein. Wir sprechen da von funktioneller Diversität. Diese spielt vermutlich eine sehr wichtige Rolle bei der Erklärung von Prozessen in einem Ökosystem.

Insektenarten sterben aus, insgesamt ist die Menge der Insekten derartig geschrumpft, dass heute 75 Prozent weniger Insekten in Deutschlands Natur unterwegs sind als noch vor dreißig Jahren. Wenn keine Bienen und Hummeln mehr fliegen, können wir Blüten per Hand bestäuben?

Man könnte mit dem Pinsel herumgehen, aber der ökonomische Aufwand, all unsere Nahrung mit der Hand zu bestäuben, wäre riesig. Tiere können effektiver Kirschen oder Äpfel bestäuben. Die Bestäubung ist ja nur eine Dienstleistung, die uns die Insekten erbringen. Sie halten das Ökosystem am Laufen. Und da kommt es auf jeden einzelnen an. Insekten sind die Grundnahrungsmittel für Vögel, Frösche und viele Säugetierarten.

Kommen Pflanzen und Tiere zurück, wenn wir ihnen Platz machen?

Das kommt auf die Organismen an. Und wie isoliert die Flächen sind. Wenn weit und breit nichts ist, von wo aus Samen oder Arten wieder einwandern können, dann dauert es lange oder wird nie passieren. Wenn die Lebensräume gut vernetzt sind, dann wird es schneller gehen.

Und was kann jeder einzelne Mensch dagegen tun?

Jeder Garten- und Balkonbesitzer kann aufhören zu spritzen, das Unkraut einfach stehen lassen und Nistmöglichkeiten schaffen. Jeder Einzelne kann auf unsere Natur achtgeben.

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