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Ludwig sucht eine Frau

Allein kann Ludwig sich seine Wohnung in Hamburg nicht leisten, in der er seit 30 Jahren lebt. Er möchte eine Frau finden, die bei ihm einzieht, die Miete und Leben mit ihm teilt

Ludwig auf dem Balkon seiner Wohnung auf der Hamburger Elbinsel Veddel: „Ja, du kannst vorbeikommen“

Text Jörn Straehler-PohlFotos Miguel Ferraz

Eigentlich wäre das mal eine Idee: Sich eine alte Schreibmaschine besorgen. Auf ihr eine Kontaktanzeige tippen, sie dutzendfach fotokopieren, überall in der Stadt aufhängen und dann auf die Anrufe warten. Vielleicht wäre die Chance, sich auf diese Weise zu verlieben, sogar größer als über eine Dating-App. Oder es wäre ein Plot für einen romantischen Liebesfilm. Doch diese Geschichte führt zu einem 75-jährigen Rentner, der wenig Geld und wenig Glück mit den Frauen hat – und sie wohl mit ihm – und der zusammen mit seinem behinderten Sohn in einer etwas überheizten Wohnung auf der Hamburger Elbinsel Veddel wohnt.

„Ja, du kannst vorbeikommen“, sagt Ludwig am Telefon. „Du musst mir aber eine Stange Zigaretten mitbringen, wenn du ein Interview machen willst.“ Die Marke sei egal, Hauptsache Menthol, alle anderen vertrage er nicht. Er raucht seit seiner Jugend und seine neue Frau – „möglichst schlank, etwas jünger und mit dunklerer Hautfarbe“, sagt er – sollte deswegen auch rauchen. Und sie sollte möglichst bald bei ihm einziehen – als „Partnerin, Geliebte und Lebensgefährtin“. Überall in Hamburg hängen seine Kontaktanzeigen, getippt auf einer alten Reiseschreibmaschine. Sein Sohn pinnt sie an die Schwarzen Bretter in Supermärkten: „Ruf mich an, ich rufe Dich gerne zurück“.

Ludwig ist ein Adoptivkind, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, da ist er vier Jahre alt, kommt er zu einem Ehepaar in Oberfranken, seine neue Mutter muss wohl ein hohes Tier in der Nazizeit gewesen sein, erzählt er. Irgendwann adoptierten seine Eltern noch ein Mädchen. Erna ist etwas älter als er, sein Vater habe sie irgendwie aus Köln mitgebracht, mehr wisse er nicht. Mit 16 haut er nach Hamburg ab, er will zur See fahren und Kapitän werden, das ist sein großer Traum. Doch erst einmal bringt ihn die Polizei zurück: „Mein Alter wollte das nicht.“ Schließlich willigt er doch ein und Ludwig bekommt die Unterschrift seines Vaters. „Ich habe immer die Sachen gemacht, die sich sonst niemand getraut hat“, sagt er.

Den weichen oberfränkischen Dialekt hat Ludwig behalten, genauso wie die Ungewissheit, wer seine leiblichen Eltern waren, obwohl er sein Leben lang nach ihnen geforscht hat. Er sitzt in Shorts und T-Shirt auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer, auf beiden Knien Narben vom Einsatz der künstlichen Gelenke. An den orangefarbenen Wänden alte Fotos von den Schiffen, auf denen er gefahren ist, Bilder von seinen vier Kindern und von leicht bekleideten asiatischen Schönheiten. Dazu eine Buddha-Figur und ein Blatt mit Buddha-Zitaten über dem Sofa: „Überwinde den Zorn durch Herzlichkeit“. Neben der Wohnzimmertür steht ein Kühlschrank mit Getränken, an einem kleinen Schreibtisch sitzt sein Sohn und hört zu. Der 35-Jährige kennt all die Geschichten, manchmal korrigiert er seinen Vater, wenn der etwas durcheinander bekommt.

Die Frauen, seine Kinder, die Zigaretten, die Seefahrt und die Waffen: Das ist seine Welt

Ludwigs erstes Schiff ist die „Ulanga“ der Deutschen Afrika-Linien, ein Stückgut-Frachter, der – wie damals üblich – auch eine kleine Zahl an Passagieren an Bord hatte. Ein halbes Jahr ist er als Schiffsjunge unterwegs, die Westküste Afrikas runter, am Kap Hoorn vorbei, die Ostküste wieder hoch. 38 Häfen allein zwischen Kapstadt und dem Suezkanal: „Wir waren in den kleinsten und beschissensten Häfen des Kontinents.“ Und von morgens bis abends die dreckigsten Arbeiten und die Hitze unter Deck: „Ich war das ja nicht gewohnt, ich habe es verflucht, aber ich habe es genossen und ich habe durchgehalten.“ Er sei auch nie seekrank geworden, er habe so viel arbeiten müssen, dass er da gar nicht dran denken konnte. Eigentlich sei die Seekrankheit sowieso nur eine Einbildung, meint Ludwig. Zurück in Hamburg geht er in ein Seemannsheim und sucht sich das nächste Schiff.

Knapp zwei Jahrzehnte, bis Ende der 80er-Jahre, fährt er zur See. In der Zeit also, als die Frachter noch unter deutscher Flagge fahren und bevor die Container-Riesen kommen: „Das sind keine Schiffe mehr, da sind nur noch Blechkisten drauf.“ Ohne Ausbildung arbeitet Ludwig sich auf den Schiffen hoch, kommt in der Welt rum: „Wenn mir einer dumm kommt, sage ich immer, dass er erst mal dorthin muss, wo ich schon überall hingeschissen habe“.

Von jeder Fahrt bringt er eine Seemannsgeschichte mit. Wie die von der weltberühmten Frau, die von New York bis Rio de Janeiro Passagier an Bord war: „Die hat jeden Tag mit einem anderen geschlafen, die hat keinen ausgelassen bis rauf zum Kapitän.“ Oder die von dem einarmigen Banditen in Panama, in den er sein letztes Geld geworfen und den Jackpot geholt habe, 6.000 Mark. Oder die vom Schmuggel, mit dem er sich wie auch manch andere Seeleute etwas dazu­verdient habe. Gern erzählt er auch von den vielen Persönlichkeiten, die er in seinem Leben getroffen habe: Fidel Castro. Oder Evita, allerdings starb die argentinische Ikone bereits 1952, da war Ludwig erst zehn Jahre alt.

Ludwigs orangefarbene Wände: „Überwinde den Zorn durch Herzlichkeit“

Nach seiner Seefahrer-Zeit wird er Schlafwagen-Schaffner, fährt die Strecke von Basel bis Stockholm. Ist für kurze Zeit Geschäftsführer mehrerer Kneipen auf St. Pauli. Arbeitet als Fahrgastbetreuer beim HVV und als Ordner auf Festivals, ist zwischendurch auch mal arbeitslos, findet aber immer einen neuen Job. Immer in der Gewerkschaft, das ist ihm wichtig. Und immer SPD-Anhänger, Helmut Schmidt habe er persönlich gekannt und ihn irgendwann mal mit dessen Frau Loki an einem FKK-Strand getroffen.

Ludwig erzählt routiniert und mit etwas Stolz, so wie er seine Geschichten wahrscheinlich oft erzählt hat. Neben ihm auf dem Sofa steht die Schreibmaschine, auf der er seine Kontaktanzeigen tippt. Gerade erst hat er noch einmal eine neue geschrieben. Vor ihm auf dem Tisch liegen Bücher über die Seefahrt, sein Sohn bringt ihm Aktenordner, aus denen er vorliest. Draußen ist es schon dunkel geworden. Erst als er anfängt, von den Frauen zu reden, mit denen er verheiratet war, ändert sich seine Stimme. Sie klingt jetzt wie die eines Mannes, der nicht so genau weiß, was er falsch gemacht hat, obwohl er alles richtig machen wollte.

Denn da ist die Sache mit seiner vierten Ehefrau, einer Frau von den Philippinen, die er Ende der 90er nach Deutschland geholt hatte. Zwei gemeinsame Kinder haben sie. 2013 verlässt sie ihn, Ludwig geht aus Verzweiflung zum Elbe-Wochenblatt: „Meine Frau hat mit Hilfe des Jugendamtes meine Kinder entführt“, sagt er der Reporterin. Doch das Gutachten des Jugendamtes, aus dem die Zeitung zitiert, spricht eine andere Sprache: Weder die beiden Söhne noch die Ehefrau wollten wegen seiner Aggressivität und Unberechenbarkeit Kontakt mit ihm haben. Deshalb, so die Zeitung, flüchten sie in ein Frauenhaus, während er wegen einer Krebserkrankung in der Klinik ist. Ein Auslöser für ihre Flucht war offenbar, dass Ludwig sich in einem Streit mit seiner Frau einen Revolver an den Kopf gehalten hat. Es war das zweite Mal, dass er sich wegen einer Frau erschießen wollte. Das erste Mal sei in Südamerika gewesen, als er noch zur See fuhr.

Ludwigs Zettel für die Schwarzen Bretter: „Ruf mich an, ich rufe Dich gerne zurück“

Er redet nicht gern über das, was damals passiert ist, und versteht bis heute nicht wirklich, warum sie ihn verlassen hat, obwohl er doch alles für sie getan habe. Ja, er sei früher schon aufbrausend gewesen, diese Zeiten seien aber vorbei, sagt Ludwig. Er liebe eben die Frauen, sie sind seine Leidenschaft, er braucht sie, um glücklich zu sein: „Ich habe wunderschöne Zeiten mit Frauen gehabt, auch wenn sie mich immer belogen und betrogen haben.“ Die Frauen, seine Kinder, die Zigaretten, die Seefahrt und die Waffen: Das ist seine Welt. Mit Waffen ist er groß geworden, sein Adoptivvater hatte eine Jagd. Schon als Sechsjähriger habe er ein Luftgewehr gehabt. „Ein Maschinengewehr kann ich dir in ein paar Minuten auseinanderbauen“, sagt Ludwig. Den Revolver, mit dem er sich erschießen wollte, hat ihm die Polizei abgenommen.

Sein Sohn aus erster Ehe ist immer bei ihm geblieben. Bei der Geburt hatte sich die Nabelschnur um seinen Hals gelegt, er war bereits blau angelaufen. Die Konzentration und das Sprechen fallen dem heute 35-Jährigen deshalb etwas schwer. Bald aber will auch er ausziehen und nach Schwerin gehen. Wenn er mit seiner Ausbildung zum Fachlageristen fertig ist. „Selbstverständlich werde ich ihm immer helfen“, sagt Ludwig und kämpft zum ersten Mal mit den Tränen.

Der Auszug seines Sohnes ist ein Grund, warum Ludwig wieder eine Frau sucht. Allein kann er sich die Wohnung nicht mehr leisten, in der er schon seit 30 Jahren wohnt. Vor Kurzem habe sich ein Mann bei ihm gemeldet und ihm gesagt, er habe eine Frau für ihn. Sie würde aber als Prostituierte arbeiten. „Und da sage ich: Ja und? Ist ja nicht verboten, oder?“ Ihm ist es nur wichtig, dass eine Frau, Raucherin, etwas jünger und dunkelhäutig, das Leben mit ihm teilt. Bei ihm einzieht und sich an der Miete beteiligt. Am besten bald.

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