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Mit Gefühl und Härte

Franziska Giffey, Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, wird Familienministerin. Eine extrem steile Karriere

Von Stefan Reinecke

Mai 2017. Martin Schulz steht vor der Bücherwand einer Stadtteilbibliothek, die im sechsten Stock eines Einkaufszentrums in Berlin-Neukölln untergebracht ist. Er stellt sein Bildungsprogramm vor. Schulz ist noch der Star der SPD, doch sein Stern sinkt.

Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey stellt den angezählten Kandidaten vor und skizziert knapp die Lage in Neukölln. Fast jedes zweite Kind, das in Neukölln eingeschult wird, hat Sprachstörungen. In Nordneukölln gibt es Schulen, in denen 80 Prozent der Eltern Hartz IV bekommen. „Das sind alles unsere Berliner Kinder“, sagt sie. Und: „Wir brauchen klare Regeln für alle.“

Gefühl und Härte, Empathie und Regeln, dafür steht die 39-Jährige. Schulz verhaspelt sich und verwechselt ein paar Zahlen. Giffey wirkt an diesem Tag, obwohl nur Bezirkspolitikerin, nicht nur fachlich beschlagener als Schulz. Sondern auch strahlender. Kostüm, blonde hochgesteckte Frisur, klare Ansagen.

Sie kommt aus Frankfurt (Oder), klingt aber manchmal so berlinerisch, als wäre sie in Neukölln geboren. Jetzt wird die promovierte Politikwissenschaftlerin Familienministerin. Von der Kommunalpolitik ins Kabinett, das ist ein schwindelerregender Aufstieg. Zumal sie erst seit 2015 Bezirksbürgermeisterin ist.

Ihr Vorgänger und Mentor war Heinz Buschkowsky, Rechtsausleger der SPD und bekannt für Anti-Multikulti-Sprüche. Giffeys Karrieresprung verdankt sich auch der Tatsache, dass sie nicht den Buschkowsky-Klon gab. Wo der auch mal mit antiislamischen Ressentiments spielte, mied Giffey vorschnelle Verallgemeinerungen. So kritisierte sie harsch kriminelle arabische Familienclans, die „den ganzen Ruf versauen“ – und zwar nicht nur Neuköllns, sondern vor allem des Gros der arabischen Bewohner. Law & Order mit menschlichem Antlitz.

Giffey hat ein unromantisches Verhältnis zum Multikulturellen, profiliert sich aber weniger durch markige Worte als durch praktisches Engagement. Sie kümmert sich um Schulen und Müllbeseitigung – und ist selbstverständlich auch auf der Demo präsent, die gegen den Brandanschlag von Rechtsex­tremen auf das Haus eines türkischstämmigen Linksparteipolitikers in Neukölln protestiert.

Jetzt wird sie gefeiert von der SPD, nicht nur von den Konservativen, die Giffey mögen, weil sie Buschkowsky mal ihr Vorbild genannt hat. Auch SPD-Linke setzen Hoffnungen auf sie: weiblich, aus dem Osten, unverbraucht. Der Bedarf der SPD an neuen Figuren, auf die man bei all der Trübsal etwas projizieren kann, ist noch immer groß. Auch nach Schulz, der verglühte wie eine Sternschnuppe.

Vielleicht wäre es gesünder gewesen, wenn Franziska Giffey erst mal mehr administrative politische Erfahrung gesammelt hätte, etwa als Berliner Senatorin. Nun wird sie neben dem Job als Familienministerin auch mit überschießenden Erwartungen klarkommen müssen. Auch weil sie die Solo-Stimme des Ostens im Kabinett wird geben müssen..

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