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Strahlender Sehnsuchtsort

Der Filmemacher Thorsten Trimpop kehrte für seinen Film „Furusato – Wunde Heimat“ über viele Jahre immer wieder in die Kleinstadt Minamisoma nahe Fukushima zurück

Überleben nach der Katatstrophe: „Furusato – Wunde Heimat“ Foto: Kagge Sturlason/picture alliance

Von Silvia Hallensleben

Die Bilder, mit denen dieser Film beginnt, bleiben auch nach mehrfachem Ansehen rätselhaft. Es sind Totalen, Schwenks über eine menschenleere Stadt, in der eine leere Schaukel auf einem kleinen Spielplatz lebhaft schwingt. Als Kontrast auf einer Straße die statuarisch unbewegte Figur einer weißen Riesenkatze. Sonst ist kein Lebewesen zu sehen, nur Häuser und Autos, deren durch Schmutz erblindete Scheiben darauf hinweisen, dass sie länger nicht mehr benutzt wurden. Im Ton das Knacken eines Geigerzählers und eine nicht untertitelte Lautsprecherdurchsage in japanischer Sprache.

Die folgende Texttafel nennt als Handlungsort die japanische Kleinstadt Minamisoma, die in der 30-Kilometer-Zone (später ist dann von einer 20-Kilometer-Zone die Rede) um Fukushima liegt und geteilt ist in einen offiziell bewohnten und einen gesperrten Teil, in dem aber auch noch Menschen leben. Die Tafel bleibt das einzige erklärende Element in diesem Film, der beide Teile des Orts zeigt und einige der dort gebliebenen Menschen begleitet.

Die ringen auf unterschiedlichste Art mit den Realitäten nach der Atomunfall: Ein junger Punkmusiker, der als Flüchtling nach der Flut mit seinen Eltern nach Minamisoma gekommen war, zieht nach dem Verlust von Freunden und Sicherheit alleine nach Tokio. Doch viele bleiben. Oder kommen erst, wie Bansho, der seine Familie im sicheren Teil des Landes verließ, um als Aktivist gegen den Atomstaub zu kämpfen. Dabei erkrankt er selbst an Strahlenkrankheit und Krebs.

Eine junge Frau ist gegen den Willen des Vaters aus der Evakuation zurückgekehrt, um auf der in fünfter Generation betriebenen idyllisch anmutenden Pferdezucht zu helfen. Doch die neu geborenen Fohlen beginnen schon mit wenigen Monaten zu lahmen und sterben trotz aller Hilfsversuche bald kläglich. Ein alter Mann erklärt zum Jahrestag der Katastrophe angereisten Journalisten aus dem Westen in die Kamera, dass er bleiben werde, weil seine Familie seit tausend Jahren am Ort verwurzelt ist: „Weglaufen kommt nicht infrage.“

Es ist diese traditionsgebundene Haltung, die den in Chicago lehrenden Filmemacher Thorsten Trimpop („Der irrationale Rest“) interessieren. Dabei lässt sich der titelgebende, im Japanischen emotional stark aufgeladene Begriff „Furusato“ nur annäherungsweise übersetzen und bezeichnet etwas zwischen Heimat und einem verloren gegangenen Sehnsuchtsort. Ein treffendes Motto für einen Film, der um eine im saftigen Grün zwischen Bergen und Meer gelegene Gegend kreist, wo die jäh eingetretene Katastrophe heimatlich Vertrautes zu Unheimlichem werden lässt.

In Trimpops über weite Strecken beobachtend angelegtem Film lässt sich nur aus den Umständen erahnen, in welcher der beiden Zonen sich die gezeigten Menschen gerade befinden. Doch die bürokratisch definierten Grenzen stehen sowieso weit offen für die Strahlung und den radioaktiven Staub, den der mit einem weißen Schutzanzug bekleidete Aktivist in Privatinitiative mit einem kleinen Handfeger von der Straße sammelt, um die vorbeikommenden Kinder zu schützen.

Später sammeln auch offizielle Arbeiter verseuchte Erde in großen schwarzen Säcken. Doch im Chor singen die Schulkinder, dass sie „mit einem Lächeln in die Zukunft blicken“ und „Fukushima retten wollen“. Und treten dann ohne jeglichen Schutz auf der Straße zu einem Wettrennen an.

So ist „Furusato“ die präzise Studie eines kulturell spezifisch geprägten Umgangs mit dem eigenen Ort in der Welt

Seit seiner ersten Begegnung mit Minamisoma im Jahr 2012 war der Filmemacher Thorsten Trimpop von der Region und den dort Lebenden fasziniert. Filmisch und menschlich wollte er dem üblichen journalistischen Umgang mit der Katastrophe eine (tja, mir fällt kein besseres Wort ein) nachhaltige dokumentarische Position entgegensetzen. Dafür kehrte er über viele Jahre immer wieder – nur von einer Übersetzerin und seiner Kamera begleitet – zurück, um die Schicksale seiner Helden und Heldinnen zwischen Ahnentempel und Medizinstation langfristig zu begleiten.

So erschweren die langen, nicht ausgewiesenen Zeitabstände manchmal das Wiedererkennen der Personen. Etwa zur Hälfte des Films gibt es dann eine formale Zäsur, und der Film verlässt mit dem Einspielen eines Werbefilms für das damals gerade fertiggestellte Kraftwerk das enge beobachtende Umfeld. Dann geht es auch räumlich hinaus: Erst mit einem reuigen Tepco-Ingenieur direkt nach Fukushima. Und dann auf einen kurzen visuellen Ausflug entlang zahlloser Überlandleitungen zu den einst vom Fukushima-Strom gespeisten nächtlichen Lichtkaskaden von Tokio. Ein fast überdeutlicher Hinweis.

Doch auch viele andere Motive dieses bis in das subtile Sounddesign sorgfältig gestalteten Films führen aus der japanischen Kleinstadt in die Welt. So ist „Furusato“ die präzise Studie eines kulturell spezifisch geprägten Umgangs mit dem eigenen Ort in der Welt.

Doch die globalen Fragen nach den Folgen gewaltsamer Veränderung und Vertreibung schwingen als Subtext ständig mit.

„Furusato – Wunde Heimat“. Regie und Kamera: Thorsten Trimpop, Deutschland/Japan/USA 2016, 94 Min.

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