: Norwegens Regierung überlebt
Die hoch umstrittene Justizministerin Sylvi Listhaug tritt vor Misstrauensvotum am Dienstag zurück. Damit bleibt die konservativ-rechtspopulistische Minderheitsregierung an der Macht
Von Reinhard Wolff, Stockholm
Norwegens Regierung hat überlebt. Zwei Stunden vor dem geplanten Misstrauensvotum gab die umstrittene Justizministerin Sylvi Listhaug am Dienstag ihren Rücktritt bekannt. Es hatte sich abgezeichnet, dass eine Parlamentsmehrheit ihr das Vertrauen verweigern würde. Damit wäre die konservativ-rechtspopulistische Minderheitsregierung schon ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen vom Herbst 2017 am Ende gewesen.
Unter Beschuss geraten war sie durch einen Facebook-Kommentar. Darin hatte sie die sozialdemokratische Arbeiterpartei beschuldigt, ihr seien die Rechte von Terroristen wichtiger als die Sicherheit des Landes. Mit dem indirekten Vorwurf, die Sozialdemokraten seien Staatsfeinde und Landesverräter, verletzte Listhaug ein Tabu: Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik hatte just mit Hinweis auf angebliche sozialdemokratische Landesverräter seinen Terroranschlag auf der Insel Utøya 2011 zu rechtfertigen versucht, bei dem er 77 Menschen ermordet hatte. Er war Mitglied der Jugendorganisation der Fortschrittspartei zu einer Zeit gewesen, als auch Listhaug in deren Vorstand aktiv war.
Den Verlust der Regierungsmacht ihrer Fortschrittspartei habe sie nicht riskieren wollen, begründete Listhaug nun ihren Schritt. Das Wichtigste sei, dass auch in den kommenden dreieinhalb Jahren ihre Partei über die Ausländerpolitik bestimme und nicht „Støre, Lysbakken & Co“ – die Parteivorsitzenden der Sozialdemokraten und Sozialisten. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung wäre nämlich eine mögliche Alternative nach einem Scheitern der Regierung unter Ministerpräsidentin Erna Solberg gewesen. Die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen kennt Norwegen nicht.
Die 40-jährige Listhaug gilt als führende Repräsentantin des äußersten rechten Flügels der Fortschrittspartei. William Nygaard, Exvorstand des norwegischen PEN nannte sie die Politikerin, die „in der norwegischen Politik von heute einem autoritären und rassistischen Faschismus am nächsten kommt“. Seit 2015 war sie zunächst Einwanderungsministerin und verwaltete nach einer Regierungsumbildung im Januar 2018 zusätzlich das Justizressort.
Sylvi Listhaug kündigte an, nach ihrem Rücktritt nun als Parlamentsabgeordnete ihre Agenda weiterverfolgen zu wollen. Sie beschimpfte mehrere Politiker als unfähig, beklagte eine Hexenjagd gegen sich und bezeichnete die norwegische Politik als „Kindergarten“: „Da muss wenigstens ich eine Erwachsene sein.“ Solberg distanzierte sich in einer Pressekonferenz von diesen Äußerungen ihrer Exministerin, wollte gleichzeitig aber nicht ausschließen, dass diese in Zukunft wieder für einen Regierungsposten in Frage kommen könnte.
Listhaug habe die Regierung zwar gerettet, werde aber versuchen, sie bei jeder Gelegenheit zum Kippen zu bringen, wenn es nur ihrem Ziel diene, die Führung der Fortschrittspartei zu übernehmen, vermutet das liberale Morgenbladet. Die Tageszeitung Stavanger Aftenblad beruft sich auf ein Zitat des früheren US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Dass dieser den damaligen FBI-Chef Edgar Hoover nicht feuern wollte, begründete der Präsident damit, dass es „besser ist, er sitzt im Zelt und pinkelt raus, als vor dem Zelt und er pinkelt rein“. Nun werde es ungemütlich werden im Zelt, schreibt die Zeitung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen