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„Sich in verschiedene Möglichkeiten seines Selbst zu verwandeln“

Wo Tanz und Mode sich verbinden, wird es für den US-amerikanischen Choreografen Trajal Harrell interessant. Ein Gespräch über das Performen von Weiblichkeit, antike Rollen und antike Roben, Comme des Garçons und Butoh

Interview Astrid Kaminski

Der Choreograf Trajal Harrell wurde mit seinen konzeptuellen Laufstegtänzen und historischen Imaginationen bekannt. In seiner Serie „Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church“ brachte er postmoderne Tänzer*innen aus Down Town Manhattan mit Vogueing-Künstler*innen aus der „schwarzen“ und lateinamerikanischen Ballroom-Szene Harlems zusammen. Nach dieser intensiven Phase der Begegnungen begann er zum spätexpressionistischen Butoh-Tanz aus Japan und zum Avantgarde-Mode-Label Comme des Garçons zu forschen.

In seiner aktuellen Performance „In the Mood for Frankie“, die nun ans Berliner HAU (Uraufführung am MoMA NewYork) kommt (28. + 29. März, jeweils um 19 und 21 Uhr im HAU 1), bringt er all seine Musen und Einflüsse zusammen. In der nächsten Saison wird seine Literaturadaption von Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“ an der Volksbühne Berlin erwartet.

taz:Mr Harrell,als ich eine Freundin nach ihren Highlights der documenta 14 in Athen fragte, nannte sie Ihren Namen: Trajal Harrell, wie er um Mitternacht ein Taxi heranwinkt. Seitdem sehe ich diese Szene vor mir, wenn ich an Sie denke.

Trajal Harrell:Lustig. Ja, ich bin ein Taxi-Mensch. Und ich habe auch einen guten Tipp in dieser Beziehung: Bewahren Sie die Rechnung auf.

Für die Steuer?

So Leute wie ich bemühen sich ständig, ihre Dinge nicht irgendwo zu vergessen. Vergeblich. Als ich am Anfang meiner Karriere einmal in San Francisco Taxi fuhr, hatte ich eine nagelneue Videokamera bei mir. Ja, ich ließ sie im Taxi. Das hat mich erledigt. Aber dann erinnerte ich mich an die Rechnung mit der Taxinummer drauf. So konnte ich mit dem Fahrer verbunden werden.

Wenn ich an die Taxi-Szene denke, sehe ich Sie im wehenden Mantel vor mir, wahrscheinlich weil ich an die klassisch-griechischen Gewänder aus Ihren Arbeiten denke.

Es gibt da den „Klassiker“ in meinen Arbeiten. Es ist ein Kleidungsstück mit komplexen Geometrien, das auf verschiedene Arten getragen werden kann. Es ist wie eine Ode an die Stile von der Antike bis zum frühmodernen Tanz. In „Juliet & Romeo“(Münchner Kammerspiele 2017),in dem nur Männer performen, kommen auch wieder viele dieser Kleider vor. Oft halten wir sie uns nur vor statt sie anzuziehen. Der Casual-Look, wie er mit dem postmodernen Tanz eingeführt wurde und nun dominant ist, hat viel mit dem Hier und Jetzt zu tun: So bin ich, in diesem Körper. Das hat mich geprägt. Aber durch die Art, wie ich Kleider verwende, gehe ich einen Schritt weiter. Ich schaffe einen Raum historischer Imagination, eine Atmosphäre des Traums. Selbstverständlich hat das mit dem Vogueing zu tun, mit dem Bedürfnis, sich in verschiedene Möglichkeiten seines Selbst zu verwandeln. Dieser Ansatz wird von mir formalisiert.

Die meisten Ihrer Stück sind Laufstegshows.

Das sind sie alle. Ich interessiere mich für die Verbindung von Tanz und Mode. Sowohl das Ballett- als auch das Mode-Spektakel haben ihren Ursprung am Hof Louis XIV. Auch heute noch beginnt die Pariser Oper ihre Saison mit einem défilé(Parade des corps de ballet). Von dieser miteinander verwobenen Geschichte ausgehend, finde ich es spannend, wie sich die Disziplinen entwickelt haben, wie sie heute unterschiedliche Bedeutungen im Bezug auf soziale, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge produzieren.

Sie haben Figuren wie Antigone, die Amme von Julia (Shakespeare) und La Argentina gespielt. Wie sehen Sie sich selbst: Spielen Sie mit „femmes“-Aspekten wie im Vogueing oder als Feminist*in?

Sowohl als auch. Mein theoretisches Wissen beziehe ich aus dem postkolonialen Feminismus. Würden Sie mich in eine Vogueing-Kategorie verorten, so wäre es unter „butch femme“. Das heißt: Ich laufe als Frau, bin aber Mann. Eine „femme realness“ wäre eine Person, die auch im echten Leben als Frau durchgehen könnte. Daher verbindet mich meine eigene Kategorie auch mit der Theatergeschichte, in der Frauen lange Zeit von Männern gespielt wurden. Als Künstler könnte es ihnen durchaus bewusst gewesen sein, dass sie in einer ungerechten Gesellschaft leben, in der es keine gleichen Rechte für alle gibt. Stellen wir uns vor, eine Prinzessin erhebt sich gegen einen mächtigen König!

Wie Antigone …

Kann es sein, dass einige dieser Männer, die Antigone spielten, Feministen waren?

Heute wäre es problematisch, wenn jemand aus einer gesellschaftlich unterrepräsentierten Gruppe auf der Bühne von jemandem aus der Mehrheitsgesellschaft gemimt würde.

Sicher. Aber wir sprechen hier nicht von Repräsentation. Frauen hatten zu dieser Zeit keine Bürgerrechte und auch keinen Zugang zum Theater – das ist ein großer Unterschied. Welche Art von Diskussion kann also angezettelt werden innerhalb dieser politischen Limitierungen, mit dem Ziel, die Grenzen zu sprengen? Das Spannende ist ja, zu verstehen, welche Strategien wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Geschichte benutzen können und müssen.

Warum wurde der einzige Strip in Ihrem Stück„Caen Amour“, mit dem Sie im letzten Sommer bei Tanz im August waren, von einer Zis-Frau performt?

Aber klar doch! Es ist eine Hoochie Coochie Show. Darum teile ich auch Handzettel aus, denen zu entnehmen ist, dass wir Rassismus, Sexismus und Kolonialismus nicht verschönen. Hoochie Coochie war keine Show, in der Leute sich Penisse anschauten; sie gingen dahin, um Vaginen zu sehen. Es wäre ein Zweite-Welle-Feminismus-Reflex zu sagen: Es geht um nackte Frauen, also brauchen wir auch nackte Männer. Aber die Konstruktion des Blicks auf Nacktheit innerhalb ihrer historischen und sozialen Bezüge ist nicht ein und dasselbe. Außerdem versuche ich in dieser Show auch über meine eigenen Vorstellungen zu sprechen, mich selbst zu problematisieren.

Inwiefern?

Als kleiner Junge in Georgia wurde ich jährlich von meinem Vater mit auf den Jahrmarkt genommen. Irgendwann hat er mich dann jeweils meinen Freunden überlassen und ist in einem Etablissement verschwunden. Davor gab es ein Schild mit einer Frau mit einer Frisur wie der meiner Mutter und Punkten anstelle der Brüste. Als ich älter wurde, verstand ich schließlich, dass mein Vater dahin ging, um nackte Frauen tanzen zu sehen. Das wurde dann zu meinem ersten Begriff von Tanz als Spektakel. Diese Erfahrung, überlagert von anderen Ebenen, steckt hinter „Caen Amour“. Das erwähne ich, um den Unterschied klar zu machen zwischen einer Rekonstruktion oder einer Re-Imagination, so wie ich sie inszeniere.

Ihr aktuelles Stück „In the Mood For Frankie“ wird als Stück über Musen angekündigt. Dazu gehören sowohl Ihre langjährigen Künstlerkollegen, als auch Butoh-Tänzer sowie das ModelabelComme des Garçons. Dessen Schöpferin Rei Kawakubo kommt wie der Butoh aus Japan. Gibt es eine Verbindung?

Nach der „Twenty Looks“-Serie wollte ich meine Arbeitsweise ändern. Okay, sagte ich mir, wenn du deinen Stil verändern willst, dann solltest du dich fragen, was die bahnbrechenden Veränderungen in der Mode waren. So kam ich auf Comme des Garçons. Mich beschäftigte dann sehr, wie über die frühen Shows (in den 1980ern) des Labels gesprochen wurde – die Post-Hiroshima-Ästhetik, das Düstere: sehr ähnlich wie unsere Vorstellung von Butoh. Als ich zum ersten Mal nach Japan reiste, ging ich dieser Frage nach. Und stieß auf die Archive von (Butoh-Gründer) Tatsumi Hijikata, der selbst nie in den Westen gekommen ist. Ich wurde komplett verrückt, als ich das sah.

Es gibt noch mehr Musen, auf die Sie sich beziehen. Der Titel „In the Mood for Frankie“ erinnert an „In the Mood for Love“ vonWong Kar-Wai. Aber wer ist Frankie? Auch eine Muse?

So ähnlich. Ich mag das Wort. Manchmal fragen Freund*innen: Ist eine Person schwarz oder weiß? Ist sie dies oder das? Und wenn sie es nicht wissen, sagen sie: Sie ist „frank“.

Vor ein paar Jahren sind Sie nach Athen gezogen, während viele griechische Künstler*innen wegen der Krise ins Ausland gingen. Sie leben dort eher mit älteren Menschen, Migrant*innen und Geflüchteten als umgeben von einer „schwarzen“ oder queeren Kunstszene.

Meine Company ist in Brüssel und New York angesiedelt und ich lebe außerdem auch bei meiner Mutter in Georgia. Aber auch in Europa brauche ich einen Ort. Weil ich aus dem Süden stamme, brauche ich Sonne. Athen ist für mich eher ein Unterschlupf, wo ich zur Ruhe kommen kann, auch eine Blase. Ich kümmere mich hier um meine Wäsche. Ich schaue auf den Baum vor meinem Fenster. Ich brauche diese Einsamkeit. In einer anderen Phase meines Lebens wird sich das bestimmt ändern und ich werde mich dafür interessieren, wie diese Stadt tickt, wie sie gestrickt ist.

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