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Drehen an der Job-Schraube

Dem Siemens-Konzern geht es gut. Aber vielleicht noch nicht gut genug? Fakt ist: Auch am Traditionsstandort Berlin sollen fast tausend Jobs wegfallen – anderswo lassen sich Dynamos und Turbinen eben günstiger herstellen. Gewerkschaft und Senat wollen um die Arbeitsplätze kämpfen

Von Tarik Ahmia

Das Siemens der Zukunft geht so: „Ökonomie + Ökologie + Soziales“ ergibt „Siemens One“. So beschreibt Europas größter Industriekonzern sein Management-Mantra im Strategiepapier „Vision 2020“. Da will es nicht recht ins Bild passen, dass der Technologieriese, der 2017 einen Gewinn von 6,2 Milliarden Euro machte, daran arbeitet, 6.900 Jobs in den Sparten Kraftwerke und Antriebe abzubauen – 3.400 davon in Deutschland.

Über 900 Arbeitsplätze sollen im sächsischen Görlitz und in Leipzig entfallen, weil Siemens dort Turbinenwerke ­dichtmacht. Und auch in Berlin, seinem weltweit größten Standort mit rund 11.600 Beschäftigten, will der Konzern knapp 900 Stellen streichen: 570 davon durch Schließung der Produktion im Spandauer Dynamowerk, wo seit 112 Jahren riesige E-Motoren für Bagger, Bergbau-Förderanlagen, Walzwerke und Schiffe gebaut werden. Siemens beklagt hier Überkapazitäten, weil Aufträge fehlten. Ähnlich sieht es im Moabiter Gasturbinen-Werk aus: Dort will der Konzern weitere 300 Stellen streichen.

Klaus Abel, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Berlin, spricht von einem „Kahlschlag“. Für Siemens-Chef Joe Kaeser hat der radikale Einschnitt eine klare Ursache: die Energiewende. Die Branche stehe vor einem „grundlegenden Strukturwandel“.

Seit bald 50 Jahren baut Siemens an der Moabiter Huttenstraße riesige Gasturbinen für die Stromerzeugung. Die Kolosse liefern bis zu 400 Megawatt, ihre Konstruktion ähnelt der von Strahltriebwerken, die Düsenjets antreiben. Energiekon­zerne nutzen Gasturbinen vor allem für Reserve-Kraftwerke, die sich bei hoher Stromnachfrage schnell zuschalten lassen.

Steil nach unten

Tatsächlich geht es im globalen Geschäft mit Gasturbinen seit Jahren steil nach unten. Im Jahr 2011 wurden von global agierenden Ausrüstern wie Siemens, General Electric und Mitsubishi Hitachi Power Systems weltweit noch 249 große Gasturbinen verkauft, letztes Jahr waren es 112. In diesem Jahr dürfte die Branche weltweit kaum mehr als 100 solcher Turbinen absetzen, die Kapazitäten der Hersteller wären damit bloß zu einem Viertel ausgelastet.

Aus Deutschland bekam Siemens in den letzten drei Jahren Aufträge für gerade einmal zwei Gasturbinen. Lisa Davis, die bei Siemens die Energiesparte leitet, sieht den Stromsektor „vor einem disruptiven Wandel, der sich in einer beispiellosen Geschwindigkeit vollzieht“. Die Branche leidet unter Überkapazitäten in der Produktion, hartem Wettbewerb und massivem Preisdruck. Das verhagelt die Bilanzen: Die Einnahmen von Siemens’ Kraftwerkssparte „Power & Gas“, einst wichtigster Umsatzbringer, brachen zwischen 2016 und 2017 um 30 Prozent ein – von 19,4 Milliarden auf 13,4 Milliarden Euro.

Mitverantwortlich dafür: der Boom der Erneuerbaren. Ökostrom lässt sich heute vielerorts billiger herstellen als Strom aus fossilen Brennstoffen. Die stetig sinkenden Produktionskosten prägen die Investitionsentscheidungen: Weltweit fließt nahezu dreimal so viel Geld in den Ausbau der erneuerbaren Energien wie in vergleichbare Investitionen in fossile Energieträger. Bis 2040 werde sich dieses Verhältnis in Richtung 4:1 ausweiten, prognostizieren Analysten von Bloomberg New Energy Finance: 6,3 Billionen Euro sollen in den nächsten gut 20 Jahren weltweit in den Ausbau erneuerbarer Energien fließen, nur 1,8 Billionen in fossile Energien.

Ein neu gebautes Kraftwerk ist 40 bis 50 Jahre in Betrieb. Welcher Investor will angesichts des Siegeszugs der Erneuerbaren und einer zunehmend dezentralisierten Energieversorgung noch viel Geld in große fossile Kraftwerke stecken und hoffen, dass sich diese Investitionen auch noch 2060 gewinnbringend betreiben lassen?

Klaus Abel von der IG Metall findet die monokausale Krisen-Analyse des Siemens-Chefs „nicht nachvollziehbar“. Die Ursachen für den schleppenden Absatz seien vielfältiger und komplizierter, nicht alles lasse sich dem Strukturwandel anlas-

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