piwik no script img

Kein Stück besser

Am Hamburger Theater „Kontraste“ inszeniert Meike Harten Theresia Walsers Komödie „Herrinnen“ über egoistische Karrierefrauen. Der Abend ist reich an Krachermomenten, aber die Frage nach Widersprüchen von selbstständigen Frauen kommt leider zu kurz

Von Hanna Klimpe

Nina Simone, ausgerechnet. Die Songs der amerikanischen Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin, auch bekannt für ihr explosives Temperament und einen Hang zu toxischen Männerbeziehungen, rahmen Meike Hartens Inszenierung von Theresia Walsers „Herrinnen“ ein.

Die fünf Damen auf den Kinostühlen im „Kontraste“-Programm des Winterhuder Fährhauses hingegen haben ihr Leben und vor allem ihre Karriere in jedem Moment ihres Lebens im Griff – und dafür soll einer von ihnen an diesem Abend der „Staatspreis für weibliche Lebensleistung“ werden.

Hinter der Bühne warten sie also auf die Preisverleihung: Die gehbehinderte Staatsanwältin Martha (Marion Martienzen), wegen ihrer resoluten Personalpolitik auch „Kettensäge-Menke“ genannt, und die Topmanagerin Tanja (Rabea Lübbe), 185 Tage pro Jahr im Dienste des Suppentütenvertriebs in Schwellenländern unterwegs. Außerdem die Weltmarktführerin der Betonpumpe-Branche Rita (Vivien Mahler), die sich durch eiserne Disziplin von der Sekretärin zur Chefin hochgearbeitet hat, die Mathematikerin Brenda mit Hang zur Poesie, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat (Konstantin Graudus) sowie die hoch inklusive Kindergartenleiterin Katie (Kristina Brons). Über ihnen hängt ein stereotypes Frauensymbol mit großen Brüsten und Röckchen, als hätte es die Debatte um Unisex-Toiletten nie gegeben.

So ein Backstage-Setting verwendet Walser in ihren Stücken häufiger: Zum Beispiel in „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“, in dem drei Hitler-Darsteller auf den Beginn einer Podiumsdiskussion über die Darstellbarkeit Hitlers warten; oder in „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“, das in Hamburg im Thalia in der Gaußstraße gezeigt wird: Dort treffen sich drei Exdiktatorengattinnen vor der Pressekonferenz zur Verfilmung ihres Lebens. Der Soziologe Erving Goffman hat solche Orte als „Hinterbühnen“ bezeichnet: Räume, in denen Menschen ihre sozialen Rollen ablegen können, allerdings nur teilweise und nur für kurze Zeit.

Und so kommt zunächst die größte Sorge der High-Performerinnen auf den Tisch: Habe ich das richtige Outfit gewählt? Unmittelbar danach werden im Stakkatotempo die Schwänze auf den Tisch gelegt: Frauen, die sich über Benachteiligung im Arbeitsleben beschweren, sind „penislose Jammerziegen“, „jeder Mensch ein Kündigungsgrund“ und sowieso „Untergebene“. Tanja rühmt sich, neben dem Topmanagerinnenjob vier Kinder großzuziehen, „davon drei selbst gepresst“. Chinesen sind „gelbe Ameisen, die einfach vom Markt gespritzt werden“.

Frauensolidarität? Systemkritik? Keine Spur. Diese Frauen haben nicht die geringste Lust, „das moralische Geschlecht“ zu sein. Die Rollen der Kindergärtnerin Katie und Mathematikerin Brenda bleiben dabei im Vergleich zu den drei Unternehmenskarrieristinnen eher blass, was schade ist. Dieses erste Drittel ist als Komödie sprachlich und inszenatorisch einwandfrei, aber man denkt sich schon: Wer Feministinnen scheiße finden will, fühlt sich voll bestätigt.

Zum Glück switcht der Abend plötzlich: Die Karrierefrauen sind Schauspielerinnen und üben für das Stück „Die Tür“. Dass Macho-Betriebsräte sich beim Anblick dieser Hyänen einfach bloß auf die Schenkel klopfen, beschäftigt sie dabei durchaus, aber vor allem beschäftigt sie: wie Theater heute aussehen sollte, wie Schauspiel heute aussehen sollte, die Unterscheidung zwischen U und E und der Zwang des Schauspielers, ein „Zeitgeistvampir“ zu sein.

Eine Metaebene über das Theater und die Arbeit des Schauspielers aufzumachen, ist eine gängige Methode. Hier aber überrascht der Dreh nach dem Einstieg an komödiantischen Wortsalven zunächst und rettet den Text aus dem Boulevard. Und der Bruch wird im Laufe des Abends immer schlüssiger: Die Schauspielerinnen und Schauspieler verhalten sich letztlich genauso egomanisch wie die Rollen, die sie spielen (Stichwort „Besamungsbesessenheit in Remscheid“); das Karrieredenken ist in der Kunst genauso präsent wie in der freien Wirtschaft.

Frauensolidarität? Systemkritik? Keine Spur. Diese Frauen haben nicht die geringste Lust, das „moralische Geschlecht“ zu sein

Wenn es eine These zur Geschlechterfrage gibt, dann heißt sie: Frauen sind kein Stück besser als Männer, wenn es darum geht, an die Macht zu kommen oder dort zu bleiben. Ob das an übermächtigen patriarchalen Strukturen liegt, oder weil Regisseurin Harten die ganze Genderdebatte für Heuchelei hält, bleibt offen.

Walser hat das 2014 in Mannheim uraufgeführte Stück noch mal überarbeitet, und man hätte sich gewünscht, dass die Frage nach den Widersprüchen von selbstständigen Frauen in der Gesellschaft etwas komplexer bearbeitet worden wäre als nur durch turbokapitalistische Karrierefrauen, die sich am Ende doch hauptsächlich um Kinder und Schuhe sorgen. Allerdings ist „Geschlechterkomödie“ eigentlich eine Mogelpackung für diese Inszenierung, in der es eher allgemein um gesellschaftliche Rollenerwartungen, Egoismus und Eitelkeit geht.

„Herrinnen“ ist die vorerst letzte Premiere des „Kontraste“-Programms des Winterhuder Fährhauses. Nachdem mit Exxon der Hauptsponsor des Programms jenseits der Förderung der Kulturbehörde abgesprungen ist, droht dem ambitionierten Programm das Aus.

Das wäre ein herber Verlust, denn die Reihe zeigt zugängliches, aber durchweg anspruchsvolles Theater und beweist, dass das Naserümpfen vor der sogenannten Unterhaltung nicht gerechtfertigt ist: „Herrinnen“ verlangt dem Zuschauer nicht wenig (Selbst-)Reflexion ab – etwa darüber, warum der einzige Szenenapplaus an diesem an Krachermomenten nicht armen Abend an den einzigen Mann im Ensemble geht.

Nächste Aufführungen: Sa, 10. 3., Do, 15. 3., Fr, 16. 3., Sa, 17. 3., 19.30 Uhr, Theater „Kontraste“ in der Komödie Winterhuder Fährhaus, Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen