Streit im Rockermilieu: Der Feind in der Familie

Einer erschossen, einer verschwunden, einer auf der Flucht, einer bedroht – das Landgericht Oldenburg konnte eine Serie von Gewalttaten nicht aufklären.

Drei Polizisten mit Sturmhauben und Maschinengewehren stehen vor dem Eingang des Oldenburger Landgerichts.

Schwer bewaffnete Polizisten schützen das Verfahren am Oldenburger Landgericht Foto: Klaus Wolschner

BREMEN taz | Geschützt durch schwer bewaffnete Sondereinheiten der Polizei hat das Landgericht Oldenburg Anfang dieses Jahres über mehrere Wochen versucht, Licht in eine örtliche Kriminalgeschichte zu bringen.

Am Tatort lag eine Leiche, soviel ist klar. Es gibt einen Täter, der sich widerstandslos festnehmen ließ – er hatte erst geschossen, nachdem er mehrfach darauf gedrungen hatte, dass die Polizei in dem Streit gerufen wird. Der Tatort ist eine kleine Trockenbaufirma in der Nahdorster Straße in Oldenburg, deren Inhaber in die Türkei geflüchtet ist – offenbar vor der Blutrache seines Onkels.

Die Fäden der Geschichte führen in einen Familienstreit – und ins regionale Rockermilieu.

Alles fing im Sommer 2017 an. Seit dem 3. Juli 2017 ist ein Sohn der Familie Cakici, der ehemalige Hells-Angels-Rocker Rezan, verschwunden. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm – nicht einmal Vater Necat, dessen Facebookseite ein einziges Trauerdenkmal ist, hat eines bekommen.

Der Vater geht inzwischen davon aus, dass sein Sohn tot ist, ermordet. Rezan war durch den Hinterausgang der Shisha-Bar verschwunden, die er gemeinsam mit seinem Cousin Ali betreibt, hatte vorher Autoschlüssel, Geldbörse und Pistole auf den Tresen gelegt und erklärt, er komme gleich wieder. Kurz nach dem Verschwinden hieß es in einem gewöhnlich gut informierten Rocker-Blog, die Hells Angels Nomads Turkey würden Rezan vorwerfen, er habe eine sechsstellige Euro-Summe abgezweigt.

Der verschwundene Rezan Cakici war vor drei Jahren aus der Rockergruppe „Hells Angels Nomads Turkey Bielefeld“ rausgeflogen – wegen seines politischen Engagements für den Kampf der PKK

Im Gerichtsverfahren hatte sein Vater Necat, der dort als Nebenkläger vertreten war, deutlich gemacht, wen er für den Drahtzieher des Verschwindens hält: Ali, den Sohn seines Bruders und Inhaber der Trockenbaufirma.

Aber Ali bestreitet die Vorwürfe. Nach eigenen Angaben hat er nichts mit Rezans Verschwinden zu tun, fürchtet aber, ins Fadenkreuz der Ermittlungen zu geraten – der polizeilichen wie der familiären. „Entweder tötet Necat mich oder ich töte ihn“, soll er sinngemäß gesagt haben, bevor er in die Türkei abgereist ist. So berichtete es zumindest Alis Vater vor Gericht.

Wenige Tage nachdem Ali sich in die Türkei abgesetzt hatte, besuchte Necat Cakici, der Vater des verschwundenen Rezan, die Oldenburger Trockenbaufirma – mit einer Pistole in der Tasche. Da der Firmeninhaber nicht greifbar war, wollte Vater Necat mit Alis treuem Angestellten Mustafa Y. „reden“ – er forderte ultimativ Auskunft über das Schicksal seines Sohnes. Und Geld. Mitgebracht hatte er „als Zeugen“ einen anderen Bruder, Zülfü Cakici.

In der Trockenbaufirma kam es schnell zum Streit. Nach dem Bericht des Angeklagten Mustafa Y. hatten die beiden Brüder alles Geld gefordert, das im Tresor lag.

Die Notwehr-Version

Auf die Gegenfrage, ob das „Schutzgeld“ sein solle, sei der als „Zeuge“ mitgekommene Bruder Zülfü Cakici mit einem Messer auf ihn losgegangen. In Notwehr habe er geschossen, erst auf den Boden, dann auf den Angreifer.

Das Gericht hielt die „Notwehr“-Version für glaubwürdig und verurteilte den Schützen vergangene Woche nur wegen illegalen Waffenbesitzes zu zweieinhalb Jahren Haft. Worum es wirklich bei dem Streit geht, hat das Gericht nicht herausgefunden.

Auf welcher Grundlage er Geld gefordert habe, hatte das Gericht Vater Necat Cakici gefragt. Er habe da öfter Geld bekommen, erzählte er, und außerdem sei es nicht viel gewesen. In seiner Tasche fand die Polizei an diesem Tag nicht nur eine Pistole, sondern auch ein dickes Bündel 50-Euro-Scheine. Offenbar geht es bei dem innerfamiliären Machtkampf nicht um kleine Geldsummen, sondern um so viel Geld, dass alle Schlichtungsmechanismen versagen.

Keine Hilfe für die Polizei

Schwer bewaffnete Polizisten durchsuchten Necat Cakici und sein Auto sehr ausführlich, als der am dritten Verhandlungstag als Nebenkläger vor dem Oldenburger Landgericht vorfuhr.

In dem eigentlichen „Fall“, dem Verschwinden von Rezan Cakici, tappen die staatlichen Ermittler nach wie vor im Dunkeln. Weder Angehörige der zerstrittenen Cakici-Familie noch der Angestellte Mustafa Y. wollten irgendetwas sagen, was der Polizei weiterhelfen könnte.

Nur einmal gab es einen kleinen Hinweis: Ein anderer Neffe berichtete in einer Vernehmung bei der Polizei, dass er einmal damit gedroht habe, die „schmutzigen Geschäfte“ des Trockenbaufirmen-Inhabers Ali der Polizei zu erzählen – wenn es nicht Informationen über das Schicksal des verschwundenen Rezan gebe. „Auch BTM“, also Betäubungsmitteldelikte oder auf Deutsch: Drogengeschäfte seien da im Spiel. Offenbar hat er aber seine Drohung nicht wahr gemacht.

„Ich kämpfe bis zum letzten Tropfen“

Da der verschwundene Rezan zeitweise bei der Rockergruppe „Hells Angels Nomads Turkey Bielefeld“ aktiv war und dort wegen seines politischen Engagements für den Kampf der PKK rausgeflogen ist, gab es am Anfang den Verdacht, dass es sich um einen Rockerkrieg handele. 2014 hatte Rezan Cakici in einem Facebook-Video verkündet „Ich bin ein stolzer Kurde“ und: „Wer von euch meint, meine Familie oder mich zu bedrohen, der wird sehen. Wer sich meiner Haustür nähert, der wird ganz genau noch sehen, was er davon hat. Ich kämpfe bis zum letzten Tropfen.“

Das ist drei Jahre her. Es ist nicht zum Rockerkrieg gekommen. Man habe sich längst versöhnt, sagen Beobachter. Auch Neffe Ali ist bei den Turkey Hells Angels. Und der Angestellte in Alis Trockenbau-Firma, Mustafa Y., auch.

Necat Cakici, der auf eigene Faust das Schicksal seines verschwundenen Sohnes Rezan aufklären will, hat am 7. November 2017 eine eindeutige Botschaft erhalten: Mitten in der Nacht explodierte unter dem Kofferraum seines Passats, der im Bremer Stadtteil Vahr abgestellt war, eine selbst gebaute Nagelbombe.

Von den Tätern fehlt jede Spur

Von den Tätern fehlt jede Spur. Die „Handschrift“ des Sprengsatzes, erklärt die Polizei, sei ein Hinweis auf eine Drohung im Rockermilieu. Aber wer da mit welchem Ziel gedroht hat – das ist vollkommen unklar.

Auf der Facebookseite des Vaters erschien unter dem Verzweiflungsruf „WO IST REZAN“ Anfang Februar 2018 für wenige Stunden das Bild einer Maschinenpistole – mit dem Kommentar „Son söz bonun olacak – die hat das letzte Wort“. Gemeint ist die Maschinenpistole. Die Botschaft war klar: Wenn jene, die für das Verschwinden seines Sohnes verantwortlich sind, nicht verhandlungsbereit sind, ist er bereit zum Äußersten. Möglicherweise war das seine Antwort an die Bombenleger.

„Wir werden die Hintergründe des Geschehens in diesem Verfahren vermutlich nicht aufklären können“, hatte der Staatsanwalt schon am dritten Verhandlungstag resigniert eingeräumt. Klar ist nämlich eine Regel: Mit der Polizei kooperiert man nicht. Beide Seiten nicht. Auch der angeklagte Todesschütze hat über die Hintergründe des Streits geschwiegen. Offenbar haben beide Seiten die Sorge, dass die Polizei ihre Geschäfte illegal finden könnte.

Schusswaffe gefunden

Demnächst müssen sich gleich zwei Familienmitglieder – Vater Necat und ein Neffe – ebenfalls wegen illegalen Waffenbesitzes vor Gericht verantworten. Dieser Neffe war mit einem Hells-Angels-Rocker zusammen im Porsche des verschwundenen Rezan angetroffen worden.

Die Durchsuchung hatte eine Schusswaffe zutage gefördert. Und der Vater, so hatte der Neffe vor Gericht ausgesagt, „hatte nach dem Verschwinden von Rezan eigentlich immer eine Waffe bei sich“. Nicht nur bei seinem Besuch in der Trockenbaufirma am 27. Juli.

Offensichtlich will die Familie den Streit „unter sich“ ausmachen. Als der Nebenkläger Necat Cakici am letzten Verhandlungstag das Wort erteilt bekam, las er eine kurze Erklärung auf kurdisch vor. „Du bist der Mörder meines Bruders und meines Sohnes“, erklärte er, gerichtet an den Angeklagten, „selbst wenn 100 Jahre vergehen, ich werde dich nicht in Frieden lassen.“

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