: Im Kameraauge des Richters
Richter und Inhaftierte sollen bei Haftprüfungsterminen in Hannover zukünftig per Skype miteinander sprechen. Kritiker fragen nach der Datensicherheit bei dem Pilotprojekt
Von Andrea Scharpen
Seinen letzten Haftprüfungstermin hat Steven Piekert als lästig in Erinnerung. Ihm wurden Hand- und Fußfesseln angelegt. Dann wurde er mit dem Gefangenentransporter ins Gericht gefahren und musste dort in einem Warteraum die Zeit totschlagen, bis er zum Richter vorgelassen wurde. Wenn ein Inhaftierter zwei Drittel seiner Haft verbüßt hat, entscheidet ein Richter, ob der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Das Landgericht und die Justizvollzugsanstalt Hannover wollen am 1. März ein Pilotprojekt starten, dass diese Haftprüfungstermine vereinfachen soll. Richter und Inhaftierte können künftig per Videokonferenz miteinander sprechen.
Die Justiz will dafür das Kommunikationsprogramm „Skype for Business“ nutzen (siehe Kasten). Der Richter kann dann von seinem Schreibtisch aus das Gespräch mit dem Inhaftierten führen, der vor einem Bildschirm und einem Mikrofon in der Justizvollzugsanstalt sitzt. Zugriff auf den Computer hat er nicht, der steht in einem Nebenraum. „Die Bediensteten der JVA können aber nicht mithören“, stellt der Leiter des Projekts, Georg Gebhardt, klar.
Sowohl die Gefangenen als auch die Richter nehmen freiwillig an dem Projekt Teil, das erst einmal für neun Monate laufen soll. „Das bietet für alle Beteiligten Vorteile“, sagt Gebhardt, der selbst Richter am Oberlandesgericht in Celle ist. Die Videoschalte helfe bei der Raumnot in den Gerichten, spare Personalkosten und minimiere die Gefahr, dass jemand auf dem Weg ausbreche. Auch für die Inhaftierten sei es angenehmer, nicht so lange in den Gerichtszellen warten zu müssen.
Piekert, der gerade seine zweite Haftstrafe in der JVA Hannover absitzt und dort Chefredakteur für die Knastzeitung Drehscheibe ist, könnte sich vorstellen, die Videoanhörung bei seiner nächsten Haftprüfung zu nutzen. „Es ist gut für den ersten Eindruck, wenn man dem Richter nicht in Fesselung vorgeführt wird“, sagt er. „Ein Nachteil ist aber vielleicht, dass die Persönlichkeit ein bisschen verloren geht, wenn man nur einen Ausschnitt sieht.“
Das sieht auch Bürgerrechtsaktivist Michael Ebeling von der Gruppe Freiheitsfoo so: „Gestik und Mimik lässt sich nie vollständig digital übertragen.“ Ein Skype-Gespräch könne keine persönliche Begegnung ersetzen. Ebeling sieht aber noch ein weiteres Problem. „Die Daten müssen auch über irgendeinen Skype-Server laufen“, sagt er. Da sei er wegen der Datensicherheit eher skeptisch. Seiner Meinung nach müsste das Justizministerium für das Pilotprojekt ein quelloffenes Programm nutzen. Bei Skype wisse man nicht, wo die Daten hingingen, ob es ein Back-up gebe oder das Unternehmen einen Zugang zur Verschlüsselung habe. „Ich würde sagen, das geht nicht bei so sensiblen Daten.“
Skype gehört seit 2011 zu Microsoft.
Das Fraunhofer-Institut hat im Jahr 2016 Skype in einer Studie unter die Lupe genommen.
Die Ingenieure des Instituts raten davon ab, das normale Skype für den „Austausch sicherheitsrelevanter und geschäftskritischer Informationen“ zu nutzen, da berechtigte Mitarbeiter von Microsoft Zugriff auf die Daten hätten.
Die Variante „Skype for Business“ für Geschäftskunden sei hingegen für den Einsatz in Unternehmen „durchaus geeignet“.
Marika Tödt, die Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums, versichert jedoch, dass das Programm zuvor einer „eingehenden Risikoanalyse nebst einer datenschutzrechtlichen Vorabkontrolle“ unterzogen worden sei. Die potenziellen Risiken seien als beherrschbar angesehen worden, so Tödt. Der Justizapparat in Niedersachsen wird von einer eigenständigen IT-Organisation betreut. Es gibt ein gesichertes Justiznetz, das „sowohl transport- als auch leistungsverschlüsselt“ sei und zudem „mit weiteren Sicherheitskomponenten wie Firewalls, Virenschutzsystemen und Proxyservern abgesichert ist“, sagt Tödt.
Auch Jens Thurow, ein Mitarbeiter der niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten, sieht die Nutzung von Skype for Business nicht als problematisch an: „Das ist ein eingeführtes Produkt.“ Es müsse jedoch geklärt sein, wo die Daten gespeichert würden.
Der Inhaftierte Piekert, der unter anderem wegen gewerbsmäßigen Computerbetrugs verurteilt wurde, vertraut darauf, dass „das Sicherheitssystem einigermaßen sicher“ ist. Auch Skype for Business sei gar nicht so unsicher, wie viele dächten, so der 36-Jährige. „Und das sage ich als ehemaliger Hacker.“
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