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was bisher geschahKein Esoteriker

Es ist eng und voll und laut und stickig, der Andrang ist groß, zu groß. Rund 250 Menschen sind ins Berliner Hebbel am Ufer gekommen, um auf unbequemen Klappstühlen dem Regisseur Christian Petzold zu lauschen, wie er von seiner Arbeit berichtet. „Secrets“ nennt sich die Reihe, die Teil der Berlinale und auf den Nachwuchs ausgerichtet ist. „For us, sharing is caring“, heißt es in der Broschüre.

Christian Petzold sitzt nicht allein auf der Bühne, sondern mit Barbara Auer, die in mehreren seiner Filmen mitgespielt hat und sehr kluge Sachen sagt, aber kaum zu Wort kommt – was vor allem am Moderator liegt, der sich als Petzold-Fan outet. Auch das Publikum ist äußerst fanlastig. Eine Frau über fünfzig lacht fast ununterbrochen und klopft sich auf die Schenkel – dabei ist das wenigste wirklich witzig. Akribisch schreibt sie mit und kommentiert jeden Trailer.

Und Petzold selbst? Schwer zu sagen, wie man ihn finden soll. Sein mangelhaftes, mit einem starken deutschen Akzent behaftetes Englisch macht ihn sympathisch, nahbar. Immer wieder fragt er das Publikum nach Vokabeln: „Was heißt noch mal ‚Werkzeug‘?“

Nervös wirkt er bei Ausschnitten aus seinen Filmen. Dabei schaut er, die Arme verschränkt, angespannt auf den Bildschirm und wippt mit den Füßen. Wie ein Filmstudent. Der er vor dreißig Jahren war. Heute ist er 57 und hat zahlreiche Preise gewonnen, etwa mehrfach den Grimme-Preis und einmal den Silbernen Bären, 2012 für „Barbara“. Sein aktueller Film „Transit“ wird als Favorit für den Goldenen Bären gehandelt.

Dann fängt er an zu erzählen – und er redet viel, teils zu viel. Davon, dass er vor jedem Dreh alle Darsteller zwei Tage um sich versammelt, mit ihnen isst, Filme schaut, spazieren geht. Barbara Auer sagt: „Er gibt dir als Darsteller das Gefühl, du hättest alle Zeit der Welt. Was natürlich nicht stimmt.“ Petzold sagt, sein Freund und Mentor Harun Farocki habe ihn bis zu seinem Tod bei jedem seiner Filme beraten. Stundenlang hätten sie in Farockis Küche an Dialogen gefeilt. Und dass er, Petzold, kürzlich, vor der Entstehung von „Transit“, Rat gesucht habe – am Grab seines Freundes. „Auch wenn ich kein Esoteriker bin.“

Das alles ist nicht uninteressant. Und fällt doch ab gegenüber Petzolds Filmen. Weil die Realität halt immer abfällt und man gerade ins Kino geht, um ihr zu entkommen. Wünscht man sich nicht nach fast jeder Q&A-Runde, man hätte lieber gleich nach dem Abspann den Saal verlassen? Hätte den Moderator nicht stottern gehört, nicht auf die Hauptdarstellerin gewartet, die mal eben „aufs Klo musste“. Sie nicht stolpern gesehen, weil sie „zum ersten Mal“ High Heels trage. Den Regisseur nicht sagen hören, dass er sich bei a) überhaupt nichts gedacht habe und b) nur so gemacht habe, weil das Geld ausgegangen sei. Lea Wagner

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