: Papa hat verloren
Mit Sibylle Bergs „Viel gut essen“ führt das Stadttheater Bremerhaven den Absturz des Bildungsbürgers ins Ressentiment vor
Von Jens Fischer
Warum zwanghaft originell sein und sich selbst ausdenken, was mit der kurzen Zeit auf Erden so anzufangen ist, wenn man doch risiko- und gedankenlos auf einen sehr gut nachgefragten Angebotsklassiker auf dem Lebenssinn-Markt zurückgreifen kann? Also einfach einen ordentlich bezahlten Job ergattern, IT-Branche oder so, brav Steuern zahlen und auch sonst nicht auffallen, eine irgendwie saubere, gut riechende, haushaltstechnisch versierte Frau heiraten, ihrem Kinderwunsch nachgeben und ein Reihenhaus beziehen. Fertig! Im Stil eines höflichen Nachbarn legt ein namenloser „Mann“ dem Publikum dieses Daseinskonzept dar – in Tobias Rotts Inszenierung von Sibylle Bergs „Viel gut essen“ am Stadttheater Bremerhaven.
Schon das Bühnenbild Cornelia Breys funktioniert prächtig auf der symbolischen und reinen Spiel-Ebene. Ein hohler Würfel steht im Zentrum als Heimatkiste. Die Hauptfigur nagelt ihre letzten Fenster dicht. Die Wohnung ist die feste Burg des Mannes. Stolz genießt er sein heteronormatives Arrangement des krebsfreien, wohlanständigen, weißen, gut verdienenden, gebildeten Kerls in den besten Jahren. Lobt auch seine Modernität: Im Kühlschrank lagern Bioprodukte. Dumm nur, dass auf dem Gipfel all der realisierten Klischees die Hormone nicht für Glücksgefühle sorgen. Was den Mann peinlich berührt. Er quält mit quietschendem Stottern das Wort „Gefahr“ hervor. Fühlt sich bedroht.
Eine Hausfront klappt auf. Der Sohn im Clownskostüm (Max Roenneberg) durchstößt die Decke. Aber seine Welt müsse doch sauber bleiben und es solle Ordnung herrschen, wimmert der Vater. Der Sprössling bringt alles durcheinander, geht zum Ballett und hört Bach statt Papas Lieblingshit: „The final countdown“. Der Sohn als personifiziertes Fremdes wird schnell an den Haaren hinfortgezerrt, mit einer riesigen Fliegenklatsche geschlagen oder sadistisch gequält. Auch die Mutter haut ab, erträgt des Gatten Unfähigkeit zur Empathie nicht mehr. Er verliert zudem den „Krieg im Büro“, nämlich seinen Job gegen den „doppelten Quotenanspruch“ einer Konkurrentin: Frau mit Migrationshintergrund.
Dann gehen noch die gemieteten vier Wände an Luxussanierer und das heimische Viertel an die Gentrifizierung verloren. Eine Steilvorlage für Ressentiments und die Möglichkeit, die Schuld an der Verschlechterung der Lebensumstände auf Feindbilder zu projizieren. „Ausländer kacken ungestört“ in seinen Garten, sagt der Mann nun, Rumänen „stehen aggressiv“ an der Straßenecke, homosexuelle Paare „sitzen mit nackten Ärschen auf Designer-Sesseln“ und hören ständig Opernarien. Selbstmitleidig erlebt der deklassierte Mann die Welt: „Jeder Asylant hat hier mehr Rechte als ich.“ Dabei habe er doch alles richtig gemacht und als Strafe nun alles verloren.
Da klappt auch schon ein Kasperletheater-Fenster auf. Eine sich ebenfalls abgehängt fühlende Generalin (Elif Esmen) haut mit dem Zepter allen Andersdenkenden auf den Kopf und hat keine Lust mehr, auf verlorenem Posten mit Leserbriefen, Hass-Postings, Plakaten und als AfD-Wählerin ihren Unmut gegen die fremd werdende Welt herauszubrüllen oder -hetzen. Will alle ebenso Denkenden für eine Wutbürgermiliz rekrutieren. Stellt sich als Anwerberin des Mannes und Einpeitscherin des Publikums an die Rampe. Ihr Appell an „christliche Werte“ klingt wie eine terroristische Drohung. Berg hat für die nun szenisch ausgebreiteten Folgen ihrer psychologischen Rechtspopulismusdeutung reichlich O-Ton-Material in den Medien gesammelt, Generalabrechnungstiraden und das ganze Empörungsgeschrei gegen Europa, Ausländer, Feministen, Hartz-IV-Empfänger, Künstler, Gutmenschen, Schwule, Politiker, Veganer, Moslems, Hipster, Juden.
In Bremerhaven aber gelingt der Balanceakt. Wie die Darsteller all das raushauen, ist einerseits ironisch überdreht, andererseits beängstigend realistisch. Zudem spielt John Wesley Zielmann verstörend die Eskalationsdynamik des Stücks aus. Zeigt, wie ein bieder sympathischer Mann nach und nach die Contenance verliert, sich an seinen Widersprüchen aufreibt und die Bösartigkeit hinter der zivilisatorischen Firnis kenntlich wird. Aus dem Kabarett gegen rechts wird eine verzweifelte Zeitdiagnose.
Schade nur, dass Text und Aufführung auf Bloßstellung und Abrechnung zielen und den Vorwurfsfuror nicht dahingehend differenzieren, was bedenkenswert wäre. Auch wenn die simplen Feindbilder der Rechtsdenker natürlich nicht taugen: Die Marginalisierung der bürgerlichen Mitte ist ja kein Witz, sondern Symptom. Die im Stück befeindeten Verwüstungen einer zügellosen neoliberalen Wirtschaftspolitik gibt es ja wirklich, Integrationsprobleme Geflüchteter sind alltäglich und der Wohnungsmarkt ist tatsächlich kein Ort kuscheliger Sozialpolitik.
Aber zum Finale wird die Regie mitfühlend. Lässt die Stimme des Antihelden verebben: „Ich habe Angst.“ Er legt seinen Kopf in den Schoß des Sohnes. Während akustisch ein Autounfall imaginiert wird. Selbstmord? Diesem Mann war auf Erden nicht zu helfen? Nein, er ist nicht Kleist, sondern nur ein modern vor sich hin kriselnder (Jeder-)Mann zwischen Abstiegsnot, die aus seinem Monolog spricht, und Zynismus, der nicht als Rettungsanker funktioniert.
Wieder am 1. und 10. 3. sowie am 6. und 25. 4., 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven
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