: Eine Kulturgeschichte in verstörenden Bildern
Ausgesetzt in einer weißen Welt: Die Julia Stoschek Collection in derLeipziger Straße präsentiert die Arbeit des „black artist“ Arthur Jafa
Von Lorina Speder
Arthur Jafa nennt sich selbst einen „black artist“. Er möchte seine Identität, durch die er sich in den späten 80er Jahren in der New Yorker Kunstwelt so isoliert fühlte, gleich offenlegen. Die Kunst des 1960 geborenen Amerikaners thematisiert unter anderem das afrikanische Erbe und die Popkultur in den USA.
Auffällig ist, dass die meisten Arbeiten in Jafas aktueller Ausstellung in der Julia Stoschek Collection neu sind, obwohl er schon seit Jahrzehnten künstlerisch tätig ist. „Wahrscheinlich liegen die Werke von früher irgendwo in Garagen oder Wohnungen herum“, sagt er bei der Pressekonferenz und nahm das zum Anlass, zusammen mit Kurator Hans Ulrich Obrist und Amira Gad ein neues Konzept für eine Ausstellung zu erstellen.
Zusammen mit Beiträgen der Fotografin Ming Smith und der Künstlerin Frida Orupabo wurden Jafas neue Werke in der mit „A Series of Utterly Improbable, Yet Extraordinary Renditions“ (Eine Serie von absolut unwahrscheinlichen, doch außergewöhnlichen Darstellungen) betitelten Schau zuvor in den Serpentine Galleries in London gezeigt. Jafa präsentiert neben seinen Videoarbeiten historische Fotografien aus der Geschichte der Schwarzen als Wandtapeten. Diese stehen im Dialog mit Skulpturen oder Artefakten der schwarzen Geschichte wie einer handgenähten schwarzen Flagge der Konföderierten Staaten von Amerika.
Trotz der Themen der Ausstellung wäre es aber falsch, allein aus Jafas Identität Rückschlüsse auf seine Kunst zu ziehen. Mit seiner Selbstbezeichnung als black artistspielt Jafa ein Spiel, in dem er die Grenzen des Kunstbegriffs testet. Die Kunst an sich ist hierzulande und in den USA zwar frei, doch die Kunstszene ist es nicht. „Ich weiß, dass ich damit kategorisiere, wo es eigentlich nicht notwendig sein sollte. Die Konfrontation ist meine Art, das Schwarzsein im Kunstkontext zu verhandeln“, sagt er. Dass er damit so selbstbewusst umgeht, war nicht immer so.
Als Künstler, der in jungen Jahren aus dem südlichen Mississippi nach New York zog, nahm er seine Identität als Hindernis wahr. Er erzählt von einer Ausstellungseröffnung im New Yorker Guggenheim Museum, bei der er der einzige Schwarze unter den Anwesenden war. „In Hongkong erwarte ich das, aber in New York, wo schwarze Nachbarschaften nicht weit entfernt sind?“, fragt er in die Runde und schüttelt den Kopf. In der Kunstwelt herrsche noch immer der Konsens, so zu tun, als ob das normal wäre. „Ich bin dafür nicht gemacht“, habe er einem Freund damals gesagt. Er entschloss sich, Abstand vom Kunstbetrieb zu nehmen und kommerziell als Kameramann zu arbeiten. „Der Druck, Werke zu produzieren, die sich offensichtlich nur mit deiner Identität beschäftigen, hat mich fertiggemacht“, erklärt er.
Er widmete sich dem Kino und arbeitete an dem Stanley-Kubrick-Film „Eyes Wide Shut“ mit oder auch an „Daughters of the Dust“ von Julie Dash, einem Film, auf den sich Beyoncé kürzlich mit ihrer Video-und-Album-Veröffentlichung von „Lemonade“ bezog. Es folgten die Kameraarbeit in Solanges Musikvideos und die Regie des collagenartigen Kurzfilms zu Jay-Zs Single „4:44“.
Schon früh fiel Jafa auf, dass schwarze Musiker der Popwelt, anders als in der Kunst, gesellschaftlich akzeptiert sind. „Musik ist das einzige Gut, in dem die Black Community ihre Kultur ausdrücken kann. Du kannst so schwarz sein, wie du willst, und wirst nicht marginalisiert“, sagt er und begründet dies mit der Immaterialität von Musik.
Arthur Jafa
Auch Jafas Lieblingsmedium, das Video, ist immateriell. Das Hauptwerk der Ausstellung, die Videoarbeit „Apex“, konfrontiert die Besucher mit einer brutalen Bilderflut, bei der man, anders als in seinen ästhetischen Musikvideos, manchmal wegen der verstörenden Aufnahmen wegschauen möchte. „Über Jahre war es nur ein Ordner auf meinem Desktop“, beschreibt Jafa seine Bildersammlung, die man in der Ausstellung in Mappen sortiert auch separat betrachten kann.
Das Video überwältigt: Misshandelte Körper von Schwarzen, historische Aufnahmen des Genozids in Ruanda, Disney-Charaktere, Nina Simone, Rihanna oder Beyoncé – es ist immer gerade genug Zeit, um die Inhalte wahrzunehmen. Angesichts der vielen schwarzen Berühmtheiten hat man das Gefühl, dass die afroamerikanische Kulturgeschichte in überfordernder Schnelle vor einem vorbeirast. Durch die Musik fühlt man sich zusätzlich orientierungslos. Die lauten elektronischen Beats mit fiependen Tönen des Detroiter Techno-Urgesteins Robert Hood schieben sich über Minuten kaum wahrnehmbar voneinander weg, sodass die Musik am gleichmäßigen Schnitt der Bilder vorbeidriftet.
Was nach acht Minuten Bilderrausch und dröhnenden Bässen bleibt, ist ein mulmiges Gefühl. Es ist, als ob Jafa einen angestauten Frust in Bildern freilassen würde.
Schon auf der Art Basel im vergangenen Jahr war „Apex“ wegen seiner Brisanz und seiner gesellschaftlichen Notwendigkeit ein Publikumsmagnet. Denn auch wenn sie schwer verdaulich ist, stellt die Arbeit von 2013 weiterhin einen State of the Art der US-Kulturszene dar, in der Schwarze trotz ihrer großen Verdienste diskriminiert werden. Eine Auflösung im Video, durch die man sich besser fühlen könnte, ist deshalb fehl am Platz. Wenn überhaupt, sollte man „Apex“ noch weiter ausführen. Das Sichtbarmachen der ungehörten Schicksale und der Doppelmoral in der Kulturszene ist ein Schritt in die richtige Richtung. Jafa deutet es selbst an: „Die Arbeit ist wie ein Trailer eines aufwendigen Films.“
Arthur Jafa in der Julia Stoschek Collection, Leipziger Str. 60, Sa. u. So. 12–18 Uhr, bis 25. November
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen