: Der kommende Aufstand
„Riots“: Zur Klärung eines unscharfen Phänomens spürt die IfA-Galerie in einer spannenden Themen-Ausstellung sozialen Aufständen auf der ganzen Welt und ihren Echos in der bildenden Kunst nach
Von Ingo Arend
Demonstrationszüge mit weißen Fahnen, kaum verschleierte Frauen mit erhobenen Fäusten, Männer im Tränengas. Als im Iran vor Kurzem wieder die Menschen auf die Straßen gingen, waren sich die Beobachter nicht ganz im Klaren. War das nur spontaner Protest von Unzufriedenen. Oder schon ein Aufstand?
Eine glasklare Definition dessen, was ein „Aufstand“ ist, liefert die jüngste Ausstellung in der Berliner IfA-Galerie nicht. Es sei denn den Minimalkonsens, dass ein Aufstand Massencharakter hat und mit ziemlich viel Gewalt verbunden ist. Die dann aber nur in verwackelten Bildern im Fernsehen oder den sozialen Medien zu sehen sind.
Aber das Echo, die Spiegelung real existierender Aufstände in der Kunst, die die Kuratorinnen Natasha Ginwala und Krisztina Hunya unter dem Titel „Riots“ zur Klärung eines unscharfen Phänomens zusammengestellt haben, ruft noch einmal eindringlich dessen politische Persistenz in Erinnerung. Das reicht von aufsehenerregenden Aufständen wie auf dem Kairoer Tahrirplatz, wie sie die kuwaitische Künstlerin Ala Younis in ihren Videocollagen zeichnet. Über die Bombay Riots 1992/93, die das indische Künstlerkollektiv Sahmat mit Installationen und Büchern thematisiert. Bis zu den legendären „Watts-Riots“ in Los Angeles 1965, deren Black-Panther-Anführern der Künstler Daniel Joseph Martinez eine Statue aus Carraramarmor gewidmet hat.
Die „Phänomenologie der Menge“, um die es der Schau geht, schnurrt auf das eher unscharfe Bild aufbegehrender Menschenmassen zusammen. So wie in Jitish Kallats Installation „Anger at the Speed of Fright“. In dem Plastikspielzeug für Kinder nachempfundenen Figuren-Ensemble auf dem Boden der Galerie bedrohen sich Menschen gegenseitig mit Schlagstöcken, hauen mit Ketten aufeinander ein und Reifen brennen. Die Arbeit des indischen Künstlers ließe sich als Sinnbild des nie endenden Zirkels der Gewalt werten, der mit Aufständen meist verbunden ist. Und vor dem die Betrachtenden so schön in die distanzierte Vogelperspektive gezwungen werden – steht das turbulente Geschehen doch auf dem Galerieboden. Sie hat freilich den Nachteil, dass sie von den Bedingungen abstrahiert, aus denen heraus der Aufstand entstanden ist. Und die Gewalt, die die „Politik des Chaos“ mit sich bringt, eher verniedlicht als erhellt.
Was für ein komplexes Geflecht von Rassismus, Armut und Klassenpolitik sich tatsächlich dahinter versteckt, zeigt in aller Schärfe John Akomfrahs beeindruckender Dokumentarfilm „Riot“ aus dem Jahr 2000 über die Unruhen 1981 in Liverpools Stadtteil Toxteth. In dem 55-minütigen Streifen zeichnet der britische Künstler ghanaischer Herkunft aus der Perspektive damals an dem Aufstand Beteiligter nach, wie es zu der größten Manifestation „zivilen Ungehorsams“ in der britischen Geschichte des 20. Jahrhunderts kommen konnte. Innerhalb von drei Tagen wurden nach Zusammenstößen zwischen der lokalen Polizei und der schwarzen Bevölkerung des Viertels mit der höchsten Arbeitslosenrate in Großbritannien 500 Menschen festgenommen, 70 Gebäude und 100 Autos zerstört und Hunderte Polizisten und Bürger verletzt.
„Riots“ ist erstklassig kuratiert. Nicht nur weil die Kuratorinnen es verstanden haben, die scheinbar so unterschiedliche historischen Beispiele und die theoretischen Aspekte des Themas in einem gut recherchierten, gelungenen assoziativen Mix von akustischem und visuellem Dokumentarmaterial und Artefakten zu verknüpfen. Und das in einem Raum, der als Ladenlokal für Mitte-Touristen durchgehen mag, aber nicht als Galerieraum einer Institution der „nationalen“ Kulturvermittlung, die sich unter seiner ambitionierten Direktorin Alya Sebti anstrengt, die Betulichkeit hinter sich zu lassen, die damit immer noch verknüpft wird.
In der Schau wollen die Kuratorinnen nichts über einen begrifflichen Leisten schlagen. Ihnen geht es auch nicht um ein schnelles Diskurs-Motto. Sondern um eine Art sinnliche Sensibilisierung für diesen explosiven Kippmoment, in dem sich der Konsens zwischen Herrschenden und Beherrschten auflöst. Vor dem wollen sie keineswegs etwa nur warnen. Vermittels der „Learning Flags“ der russischen Künstlergruppe Chto Delat gewinnen sie ihm vielmehr auch das Moment des kollektiven Lernens in historischen Ausnahmezuständen ab.
Nur bei der Titelwahl unterlief ihnen der pietätslose „Schönheitsfehler“, dass sie die Herkunft von dessen Zusatz „Allmähliches Aufkündigen der Zukunft“ nicht markierten. Die Formel stammt von dem britischen Poptheoretiker Mark Fisher, der sich Anfang 2017 das Leben nahm. Und dessen radikale Kritik der Politik von den Aufständen in Großbritannien in der Ära Margaret Thatcher seinen Ausgang nahm. Das ändert nichts daran, dass angesichts der weltweit grassierenden Zukunftsverweigerung vor allem eines gewiss ist: der kommende Aufstand. Vermutlich nicht nur im Iran.
„Riots: Allmähliches Aufkündigen der Zukunft“. Bis 1. April. IfA-Galerie, Linienstraße 138/40, Di-So, 14-18 Uhr.
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