piwik no script img

Schöne neue Welt

Vom Bioladen zu Organic 3.0 – die Akteure auf der Biofach 2018 stellen sich den Herausforderungen einer digitalen Zukunft. Vor allem die Kommunikation zwischen Produzenten, Verarbeitern, Handel und Kunden wird in den kommenden Jahren wichtiger denn je

Von Michael Pöppl

Spätestens nach dem neuesten Skandal mit „Bio-Eiern“ aus Brandenburger Massenställen, aufgedeckt ausgerechnet vor Beginn der „Grünen Woche“, weiß man als naiver Supermarktkunde, wie sehr das Label „Bio“ täuschen kann. Bei der Biofach 2018, der weltgrößten Fachmesse für Biolebensmittel, die heute zum 25. Mal in Nürnberg startet, wird es sicher auch um das Thema Täuschung und Nachahmer gehen.

Denn der Handel mit Biowaren hat sich seit der Jahrtausendwende zu einem höchst lukrativen Geschäft entwickelt, zu verführerisch, als dass es sich Lebensmittelindustrie und Handelskonzerne entgehen lassen würden, hier mitzuverdienen. Im Jahr 2016 lag der Bio-Umsatz in Deutschland bei stattlichen 9,48 Milliarden Euro, knapp 10 Prozent höher als im Vorjahr. Zum Vergleich: 2002 lag der Umsatz im Naturkostgroßhandel bei 409 Millionen Euro Umsatz. Auch für 2017, die neuen Zahlen werden erst pünktlich zur Biofach 2018 verkündet, ist sicher wieder von einem deutlichen Umsatzwachstum auszugehen.

Transparenz per App

Die Biokunden kaufen nur noch selten im Ökoladen um die Ecke, dazu sind Ansprüche der Verbraucher gestiegen und verlangen auch bei Landwirten, Lebensmittelverarbeitern, Gastronomie und Handel ein Umdenken. „Bio ist in der Mitte unserer Gesellschaft gelandet“, schreibt das Frankfurter Zukunftsinstitut in der Messe-Broschüre „Organic 3.0“. „Das Interesse der Konsumenten am Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren systematisch gewachsen. Mehr und mehr beeinflusst das Bewusstsein der Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens nun auch das Kaufverhalten der Konsumenten.“ Umweltbewusstsein und der Wunsch nach gesunder Ernährung ergänzen sich perfekt mit dem Lifestyle der urbanen Mittelschicht: Es geht um Genuss, aber mit ethischer Verantwortung, man will gesunde Lebensmittel, aber auch genau wissen, wo sie herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden. „Prosumenten“ nennt die Studie jene engagierten Biokunden der Zukunft. Es müsse den Produzenten, der Gastronomie und dem Handel deshalb gelingen, „das tiefe Verständnis für die Zusammenhänge der Natur, das die ökologische Landwirtschaft entwickelt hat, auch im Konsumalltag der Menschen zu etablieren“, so die „Trend- und Potenzialanalyse für die Biozukunft“.

Es reicht im biologischen Landbau eben nicht mehr, keine Pestizide zu verwenden und Tiere artgerecht zu halten. „Neo-Ökologie“ nennt die Studie diesen Ansatz zum Weiterdenken. In Zukunft muss es beim Thema Nachhaltigkeit verstärkt auch um den bewussten Umgang mit Ressourcen wie Wasser und Boden gehen, um Regionalität und Landschaftspflege, um gerechte Sozialstandards, um faire und soziale Arbeitsbedingungen, auch und gerade bei den Lieferanten im Ausland. Die Globalisierung prägt auch den Biohandel, bei Importen aus Entwicklungsstaaten ist es deshalb umso wichtiger, die Lebens- und Produktionsbedingungen der beteiligten Bauern zu verbessern und dies zu kommunizieren.

Wo die Bio-Akteure zusammenkommen

Die Biofach, begleitet von einer Fachkonferenz der Branche, versteht sich als „Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel“. Vom 14. bis 17. Februar werden im Messezentrum Nürnberg fast 3.000 Aussteller ihre Produkte vorstellen.

Unter dem Titel „Next Generation“ geht es 2018 darum, wie der wachsende Biomarkt weiterentwickelt werden kann. Trends im Start-up-Bereich werden vorgestellt, über politische Strategien wird debattiert – etwa zur Frage, wie der Naturkostfachhandel gestärkt werden kann.

Ein Highlight ist der große internationale Bio-Weinpreis Mundus Vini Biofach. Die beiden besten Bioweingüter des Jahres 2018 kommen aus Deutschland und Italien: Zum ersten Mal kann sich das württembergische VDP Weingut Schlossgut Hohenbeilstein als bestes deutsches Bioweingut platzieren, die Auszeichnung als bestes internationales Bioweingut geht in diesem Jahr zum vierten Mal in Folge an die Fattoria La Vialla aus dem italienischen Anbaugebiet Toskana.

Parallel findet in Nürnberg mit der Vivaness die internationale Fachmesse für Naturkosmetik statt. Seit der ersten Biofach 1990 gehörte dieses Segment zur Messe. Da das Naturkosmetikangebot stetig wuchs und auch die Nachfrage stieg, wurde der Bereich 2007 ausgegliedert.

Die Kommunikation zwischen Produzenten, Verarbeitern, Handel und Kunden wird in den kommenden Jahren wichtiger denn je. Woher kommt mein Ei wirklich? Ist der Kaffee tatsächlich fair produziert? Solche häufigen und ganz normalen Verbraucherfragen können in digitalen Zeiten sehr viel leichter beantwortet werden. „Organic 3.0“, so die Trendstudie, eröffnet der Bio-Szene große Chancen, denn „vernetztes Denken, Arbeiten in geschlossenen Kreisläufen, und Transparenz für alle Beteiligten haben im biologischen Landbau schon immer eine wichtige Rolle gespielt“. Videos vom liefernden Ökohof oder von der Kaffee-Finca in Ecuador gehören bei modernen Biohändlern längst zum guten Ton, noch viel mehr ist denkbar: Per Barcodescan auf der Eierverpackung checkt man zum Beispiel die Webcam aus dem Hühnerstall, oder die App fürs Smartphone zeigt bundesweit regionale Produkte und den nächsten Händler an.

Regionale Marktplätze

Die Vernetzung spielt auch eine große Rolle bei einer der wichtigsten Fragen: Wie kommt in Zukunft das Produkt vom Bioproduzenten zum Endkonsumenten? Mehr Dienstleistung, besserer Service, den Kunden in seinem Alltag abholen: Dem „kuratierten Einkaufen“, so die Trendstudie, kann die Zukunft gehören, die Bio-Branche soll den Kunden virtuell an die Hand nehmen und zeigen, was mit den ökologisch produzierten Produkten möglich ist. Die heute schon existierende Bandbreite reicht von Kooperationsprojekten wie der „solidarischen Landwirtschaft“, wo die Verbraucher „ihrem Bauern“ per Vertrag Absatzgarantien geben, Food Assemblys, die Konsumenten und Produzenten auf regionalen Marktplätzen zusammenbringen, moderne Online-Lieferservices für gestresste Großstädter oder Kochportale wie „Marley Spoon“ oder „Hello Fresh“, die die ökologischen Zutaten fürs Abendessen inklusive Rezept in die Kiste packen und vor die Haustür stellen. Schöne neue Welt – nur kochen muss man noch selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen