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Meereswellen und Spiegelräume

Naoko Tanaka öffnet mit der Performance „Still Lives“ in den Sophiensælen wie eine Beschwörerinden Wahrnehmungsapparat ihres Publikums – das macht ihn empfänglich für kleinste Veränderungen

Ein Lichtfinger gleitet über die silbrig glänzende Oberfläche

Von Tom Mustroph

Naoko Tanaka hat mit ihrer neuen Arbeit „Still Lives“ die Sophiensæle verzaubert. Die in Tokio geborene und mittlerweile in Berlin lebende Künstlerin ist eine besondere Gestalt in den sich überschneidenden Welten von bildender Kunst und zeitgenössischem Tanz. Sie verfolgt darin keine der marktkonformen, erfolgversprechenden Strategien. Sie vertraut vielmehr darauf, was Kunst auch, was Kunst vielleicht eigentlich ist, wenn man sie freilegt von allem diskursiven Geschwurbel: ein Spiel, ein Erhaschen von Konstellationen und Stimmungen im Zustand zwischen Wachsein und Traum.

Dazu bedient sie sich minimalistischer Mittel. In ihrer gefeierten „Schattentrilogie“, bestehend aus den Werken „Die Scheinwerferin“ (2011), „Absolute Helligkeit“ (2012) und „Unverinnerlicht“ (2015), war das Licht der zentrale Akteur. In der Produktion „Still Lives“, die vier Tage in den Berliner Sophiensælen lief, ging sie darüber noch hinaus und integrierte Objekte als Erzählelemente. Licht spielt aber auch in „Still Lives“ eine Rolle, in Form eines einzelnen Scheinwerfers, der mal durch den Bühnenraum streift und Objekte erfasst, dann aber auch Körperteile einzelner Zuschauer aus dem Dunkel holt und sie so ebenfalls zu Elementen eines visuellen Spiels macht – und nicht zuletzt die schrundigen Wände der Sophiensæle zu Werken eines abstrakten Künstlers veredelt.

Den Anfang macht eine riesige Plastikfolie. Mit Luft gefüllt, wird sie zu einem Körper, dem gewölbten Panzer einer Schildkröte gleich. Ein Lichtfinger gleitet über die silbrig glänzende Oberfläche. Dann tritt Tanaka auf und wirft kleine Objekte, Gummibälle, wie sich später herausstellt, auf die mit Luft geblähte Folie. An den Stellen, an denen diese getroffen wird, sinkt sie zu Boden. Durch die Berührung ergeben sich Wellenmuster auf der Folie; das Meer scheint in die Sophiensæle einzudringen. Zuweilen nehmen die Wellen gar tsunamiartige Dimensionen an. Tanaka, wie eine Beschwörerin um und auf der Folie schreitend, öffnet mit diesen simplen Aktionen den Wahrnehmungsapparat ihres Publikums. Sie macht ihn empfänglich für Stimmungen, Assoziationen, kleinste Veränderungen.

Später (die Folie ist längst weggezogen und hat Platz für ein spiegelndes Oval auf dem Boden gemacht) lässt Tanaka durch ihre Mitperformerin Yoshie Shibahara einige Objekte wie Regale, einen Schreibtisch und Stühle auf die Bühne bringen. Durch eine diagonal durch den Raum gespannte Sehne werden zusätzlich kleinere Objekte wie Bücher in den Aktionsraum bewegt. Die Handlungen, die Tanaka jetzt unternimmt, verlieren ihren Geheimnischarakter, weil sie zu stark in die Nähe konkreten Schauspiels gelangen. Sie sitzt am Schreibtisch, blättert in einem Buch. Natürlich: Assoziationen zu bürokratischen Systemen, in denen man verlorengehen kann, entstehen. Es stellt sich aber nicht die Beobachtungsschärfe etwa eines Franz Kafka ein.

Danach verlassen Tanaka und Shibahara zum Glück diese konkrete Situation. Die größeren Objekte sind mit diagonal verlaufenden Schnitten präpariert und werden demontiert. Als unregelmäßige, aus der Waagerechte gebrachte Körper werden sie nun entlang des spiegelnden Ovals geschoben. Hier ist noch eine Sitzfläche erkennbar, dort eine Schreibfläche, alles aber ist surreal gekippt und verbindet sich mit den eigenen Spiegelungen am Boden zu ganz neuen, nie gesehenen Konstellationen.

Tanaka und Shibahara füllen so das glänzende Oval. Sie errichten eine Landschaft der Imagination, ein neues, noch nicht oder nicht mehr bevölkertes Reich, in das sie Eintritt gewähren. Große Kunst, die keine Begründung braucht, nur empfängliche Sinne.

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