piwik no script img

Inseln der Begegnung

Neustart in Kreuzberg: Das Theater im Aufbau Haus wagt einen kollektiven Relaunch

Von Tom Mustroph

Mit einem goldenen Glitzervorhang war die Toreinfahrt in den betonierten Hof der Prinzenstraße 85F geschmückt. Ein Strom von Menschen drängte sich hinein und bescherte dem Hof und dem Theater eine lange vermisste Lebendigkeit. Das war das sichtbarste Zeichen für einen Neuanfang. Vier Künstlergruppen übernahmen Ende Januar das TAK, das Theater im Aufbau Haus am Moritzplatz. Sie wollen es die nächsten Jahre gemeinschaftlich führen.

Der kollektive Relaunch ist ein doppeltes Zurückstellen der Uhr. Auf 2011 zunächst. Denn damals schon startete das TAK im gerade eröffneten Aufbau Haus mit der Absicht, ein neuer wichtiger Player in der Berliner Freien Szene sein zu wollen. Das klappte nur bedingt. Interessante Programmpunkte wie etwa die Zusammenarbeit mit irakischen Theaterkünstlern waren bloß Inseln in einem Spielplan, der vor allem von jenen Gruppen bestückt wurde, die in den stärker kuratierten Häusern wie HAU, Sophiensae­le, Ballhaus Ost oder Theaterdiscounter kein Unterkommen fanden.

„Das Modell hat so nicht funktioniert. Das Theater hat Verluste gemacht. Die Anzahl der kulturellen Projekte ist durch die Vermietungen weniger geworden. Deshalb wurde auch jetzt ein neues Leitungsteam gesucht“, blickt Moritz Pankok zurück. Pankok betreibt die Galerie Kai Dikhas im Aufbau Haus, die sich zeitgenössischer Kunst von Roma widmet. Pankok gehört dem TAK e.V. an, der das Programm im alten TAK mitgestaltete – und im neuen Team ebenfalls dabei ist.

Das will es nicht nur besser machen als die vorherige Crew. Es sorgt auch für einen weiteren Zeitensprung, nämlich den Versuch der kollektiven Leitung. In Kreuzberg, Synonym für basisdemokratische Strukturen, will das aus vier unterschiedlichen Partnern zusammengesetzte Leitungsteam für eine Evolution kollektiver Entscheidungsprozesse sorgen.

Lydia Ziemke, Regisseurin aus Berlin und eine der Neustarterinnen, malt schon einmal Kreise auf das Papier, die die Struktur erklären sollen: „Es gibt den Haus-Kreis, den Finanz-Kreis, die Kreise für Öffentlichkeitsarbeit, Programm und Vermietung. Jede Person kann sich aussuchen, in welchem sie arbeiten möchte. Jeder Kreis hat dann einen Repräsentanten, der sich mit den Repräsentanten der anderen Kreise regelmäßig trifft.“

Neuer Anlauf

Spielplan Bei der Eröffnungsrunde des neuen TAK am Kreuzberger Moritzplatz ist "Die Ziganiada" nochmals am Samstag und Sonntag, 20 Uhr, zu sehen. An diesen beiden Tagen wird auch um 18.30 Uhr von Suite42 "Land ohne Worte" aufgeführt. Info: tak-berlin.de

Salongespräch Am Sonntag findet im TAK um 17 Uhr auch ein Salongespräch statt, bei dem man sich mit der Initiative Pro Quote Bühne vertraut machen kann.

Für den Theaterbetrieb, dessen Protagonisten in ihren Projekten oft von der Notwendigkeit kollektiver und nicht-hierarchischer Prozesse reden, der aber selbst weitgehend nach feudalem Muster organisiert ist – mit Intendanten und Leitern als Königen und Kuratoren als Prinzen –, stellt das Vorhaben am neuen TAK eine löbliche Ausnahme dar.

„Wir reden nicht davon, wir wagen den Sprung in die Realität“, sagt Fabian Lettow, Mitbegründer des Kainkollektivs, das schon im Namen das Spiel mit kollektiven Prozessen trägt, selbstbewusst. Das Kainkollektiv, Hauptsitz Bochum, ist einer der neuen Partner. Dazu gehören außerdem, neben Ziemke und Pankok, noch die Theaterpädagogin Anna Koch, wie Pankok gleichfalls vom TAK e.V., und die rumänisch-deutsche Regisseurin France-Elena Damian.

Es handelt sich um international agierende Gruppen. Lydia Ziemkes Suite42 etwa kollaboriert seit vielen Jahren im arabischen Raum. Die Regisseurin, bereits 2009/10 mit einem Recherchestipendium des British Council im Nahen Osten unterwegs, organisiert seitdem Koproduktionen mit Künstlern aus dem Libanon, Palästina, Syrien, Marokko, Algerien und Ägypten. Sie steuerte zur neuen Eröffnung des TAK die im Herbst in Algerien herausgebrachte Produktion „Angst muss die Seiten wechseln“ bei. Dabei reflektierten zwei Performerinnen aus algerischer wie aus deutscher Sicht die Auswirkungen des islamistischen Terrors auf die jeweiligen Gesellschaften.

Kainkollektiv arbeitet seit Längerem mit Künstlern aus Kamerun zusammen und zeigte zur Eröffnung seine neueste Produktion „Interessante Zeiten“. Die verknüpft das Leiden der prekarisierten Bevölkerungsteile Westeuropas mit kolonialen und postkolonialen Erfahrungen der Bevölkerung Kame­runs.

Das TAK könnte Kontur gewinnen als transnationale Begegnungsstätte

France-Elena Damian inszenierte zuletzt „Die Ziganiada“, ein an der „Ilias“ orientiertes Nationalepos sowohl der Rumänen wie der Roma. Sie holte dafür die bereits von der am Gorki laufenden Revue „Roma Armee“ bekannten Performerinnen und Aktivistinnen Mihaela Dragan und Simonida Selimović in ihr Ensemble. Die „Ziganiada“, wieder am 10. und 11. Februar im Programm, entpuppte sich denn auch als der gelungenste Beitrag im Eröffnungsreigen. Den Roma aufgedrückte Dealer- und Zocker-Klischees wurden liebevoll-ironisch dekonstruiert, patriarchale Muster und Außenseiter-Stilisierungen wild gekreuzt.

Die nächste Programminsel nach der Eröffnungssequenz im TAK soll im Mai durch eine „Medea“-Produktion eingeleitet werden. Hier wird die Roma-Thematik fortgeführt. „Medea wird dort eine Romnija sein“, blickt Pankok, der das Bühnenbild dafür entwickelt, in die Zukunft voraus. Nach dem Sommer soll das Programm dann dichter werden, mit neuen Eigenproduktionen der an der Leitung beteiligten Künstler und thematischen Blöcken.

Das TAK könnte dadurch Kontur gewinnen als transnationale Begegnungsstätte, als ein Ort, in den die Welt physisch hineingeholt und nicht nur zitiert und repräsentiert wird. Dann wird sich auch zeigen, ob die doch sehr unterschiedlichen ästhetischen Ansätze aller Beteiligten fruchtbare Reibungsenergien erzeugen oder doch nur Inseln eines sehr weitläufigen künstlerischen Archipels sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen