Das ewige Leben

Eine Ware der besonderen Art: In ihrem neuen Buch versucht die Kunsttheoretikerin Isabelle Graw, das Geheimnis der immerwährenden „Liebe zur Malerei“ zu lüften

Jeff Koons hat für das französische Modelabel Louis Vuitton Taschen mit Zitaten klassischer Malerei entworfen, zum Beispiel mit der Mona Lisa. Hier sieht man eine Werbe­kampagne dafür zwischen New Yorker Hochhäusern Foto: Timothy A. Clary/afp

Von Ingo Arend

Painting forever! Als die Berliner Art-Week vor vier Jahren unter diesem effekthascherischen Motto antrat, rollte die Kritik mit den Augen. Wieder mal ein durchsichtiger Versuch, so das allgemeine Lamento, ein eigentlich totes Genre wieder zum Leben zu erwecken. Spätestens seit der Wende zur Konzeptkunst mit Marcel Duchamp gilt das Tafelbild als belächelnswerter Dinosaurier der Kunstgeschichte. Und natürlich als trojanisches Pferd des Kunstmarkts: Merkantile Flach- und Sammlerware, wohnzimmertauglich, aber intellektuell nicht ganz satisfaktionsfähig.

Wenn die Berliner Kunsttheoretikerin Isabelle Graw ihr neues Buch „Die Liebe zur Malerei“ betitelt, hat sie weniger eine Rehabilitation dieses angeblich überholten Genres im Sinn. Noch hisst die Professorin für Kunstkritik an der Städel-Kunsthochschule in Frankfurt die weiße Fahne vor dem Kunst-Kommerz. Der Mitbegründerin der Kunstzeitschrift Texte zur Kunst, eine der wenigen progressiven Vertreterinnen ihres Faches, geht es, wie sie auch in diesem Buch ausdrücklich betont, um eine „Kunstgeschichte als Gesellschaftskritik“.

Das Bild als Lebewesen

Wenn sie in ihrem Buch die „Genealogie einer Sonderstellung“ untersucht, ist das auch kein Versuch der Essenzialisierung des Genres. Nichts könnte der Herausgeberin der Zeitschrift Texte zur Kunst ferner liegen als die Idee, Malerei sei eine Art höheres Wesen oder eine geheimnisvolle Macht. Ganz Sozialhistorikerin unter Foucault-Einfluss sieht sie die Malerei als historische „Formation“, die „von gesellschaftlichen Bedingungen durchquert“ ist.

Für eine Strukturalistin arbeitet sie sich dann aber doch schwer an einem Paradox ab. Wieder und wieder erklärt sie das scheinbar unsterbliche „Faszinationspotential“ der Malerei nämlich mit dem „Fantasma der Selbsttätigkeit“ des Tafelbildes: Dass sie für Objekte gehalten werden, in denen die Spuren ihrer Schöpfer, ihres Leben und ihrer künstlerischen Techniken zu erkennen seien. Die aber doch wie eigenmächtige Lebewesen daherkämen.

Noch die raffiniertesten Versuche, diesen magischen Effekt zu unterlaufen, nährten diese „vitalistische Projektion“. Ob Frank Stella seine Streifen wie ein lakonischer Anstreicher, Ellsworth Kelly seine Bilder schwarz-weiß malte oder Jörg Immendorff „Hört auf zu malen!“ ulkte.

Zudem ist da noch das „haptische Begehren“, das die satt schimmernde „Affektproduzentin par excellence“ auslöst. Kein Wunder, dass Graw in Malerei schließlich „Unsinn der verführerischen Art“ erkennt. Der ungefähr so wie das „vertrackte Ding voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“ funktioniert, als das Karl Marx im „Kapital“ den Fetischcharakter der Ware beschrieb. Dadurch, dass „Gemälde die Illusion einer Substanz ihres Wertes materiell auslösen“, rückten sie in die Nähe der „idealen Ware“, vor allem im Luxussegment. Nicht zuletzt deshalb versuchten Mode- und Parfümlabels ihre Produkte zum „einmaligen Kunstwerk“ zu stilisieren. Jeff Koons’jüngste Taschen-Serie „Masters“ für das französische Modelabel Louis Vuitton ist das beredte Beispiel dafür.

Besonders die digitale Ökonomie, in der alles virtuell und gewichtslos wird, befeuert für Graw die neue Attraktivität der Malerei. Schaffe die doch verführerische Unikate, die noch dazu die „Fantasie unentfremdeter Arbeit“ bedienten.

Akribischer als Graw hat wohl kaum jemand in der letzten Zeit den schillernden Doppelcharakter der Malerei und die Gründe für ihr Revival herausgearbeitet. Ihre scharfsinnige Analyse mit zahllosen Exkursen in Geschichte und Wertbildung hat das Zeug zum Standardwerk. Auch wenn manches der Künstler*innen-Gespräche, mit denen sie ihre Thesen belegen will, etwas langatmig geworden ist. Und das Buch ein – gut komponiertes – Potpourri alter und neuer Aufsätze ist.

Graws Buch besticht vor allem auch deshalb, weil sie sich nicht an liebgewordene und – gerade im progressiven Kunstbetrieb – mitunter etwas mantrahaft wiederholte Stereotypen klammert. Die ideologischen Reserven gegenüber der – zu kommerziellen – Malerei schiebt sie kühl mit dem Hinweis beiseite, ihre „Sonderstellung“ seit dem 18. Jahrhundert habe sie nun mal der Kombination aus Mobilität und Intellektualität zu verdanken. Sie ließ sich in beliebiger Größe gut transportieren und dokumentiere eine „Abstraktionsleistung“: die Verdichtung symbolischer Bedeutung auf begrenzter Fläche. Martin Kippenberger spielte ironisch mit dieser Prägung, als er sich in seinem Berliner „Büro“ 1979 am Schreibtisch ablichten ließ, vor dem sich ein Stapel Leinwände auf Keilrahmen türmt.

Man wird Graw also schwer widersprechen können, wenn sie schließlich zu der Bilanz kommt, dass „Gemälde nicht zuletzt deshalb so unschlagbar“ sind, „weil sie sich als symbolisch aufgeladene Wertdinge präsentieren, die in ihrer ökonomischen Dimension nicht aufgehen“.

Auch den emphatischen Lobliedern und Abgesängen auf die Malerei kann Graw wenig abgewinnen: Ob man die Malerei nun als Heils- oder als Verfallsgeschichte interpretiere – beide Varianten, kritisiert sie luzide, krankten an ihrem teleologischen Geschichtsverständnis.

Den Stellungskrieg über Ende oder Zukunft der Malerei entschärft Graw stattdessen nüchtern mit der Definition von der „historischen Verwandlung“ aller Medien: Auch sie stirbt nicht, sondern passt sich neuen Bedingungen an. Schon Picasso und Braque integrierten ihre Lebenswelten in ihre Bilder, Isa Genzken „malt“ mit Klebebändern, Jutta Koether öffnet mit ihrem „Networkpainting“ die Grenze zum Außen des Bildes einen weiteren Schritt.

Kein Wunder, dass Graw der Malerei am Ende „das ewige Leben“ zuspricht – allen vorschnellen Nachrufen zum Trotz. Womit wir wieder bei Painting forever wären.

Isabelle Graw: „Die Liebe zur Malerei. Genealogie einer Sonderstellung“. Dia­phanes, Zürich 2017, 400 S., 25 Euro