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Bilder von einst

An die Fassade der Volksbühne werden nun Fotografien aus Westberlin kurz vorm Mauerfall projiziert. Sie stammen aus dem Fotoband „Waffenruhe“ von Michael Schmidt

Von Susanne Messmer

Vor der Volksbühne stehen zwei weiße Baucontainer, nicht weit von dem Ort, wo noch vor einem Jahr das Rad stand, die legendäre Ikone. Im oberen der Container kann man Beamer erkennen. Zehn oder 20 Menschen stehen trotz klammen Wetters um die Container herum und schauen andächtig auf die Fassade des Theaterhauses. Bilder sind zu erkennen. Auf einem starrt ein verschwommener junger Mann ins Leere. Auf einem anderen: Ein Stück Berliner Mauer vor einem matschigen Weg. Rost, Beton, ein Absperrband. Dazwischen ein Fetzen Text. Wenn man näher tritt, verschmelzen die Unebenheiten der rau verputzten Fassade immer mehr mit den Strukturen der Bilder.

Die Bilder und Texte, die vom heutigen Mittwoch an bis zum 11. März täglich von Sonnenuntergang bis Mitternacht zu sehen sind, stammen vom 2014 verstorbenen Berliner Fotografen Michael Schmidt, genauer aus seinem Bildband „Waffenruhe“ aus dem Jahr 1987, zu dem der 2001 verstorbene Regisseur und Autor Einar Schleef Texte beigesteuert hat. Der Band „Waffenruhe“ hat Kultwert, er ist vergriffen und wird im Netz für mehrere hundert Euro gehandelt. Er wurde im Jahr seines Erscheinens in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau ausgestellt, ein Jahr darauf im Museum of Modern Art in New York. Soeben hat der Verlag Koenig Books es neu aufgelegt. Später am Abend werden sich im Sternfoyer der Volksbühne Intendant Chris Dercon, Kurator Thomas Weski und Fotograf Tobias Zielony darüber unterhalten, warum diese Bilder so besonders – und warum sie nun ausgerechnet hier wieder zu sehen sind.

Es gibt viele Fotografien von Berlin kurz vorm Mauerfall, aber kaum welche, die die Stadt dieser Zeit so wenig romantisieren. Die grauen Bilder von der Mauerstadt, die Michael Schmidt gemacht hat, sind subjektive, atmosphärische, manchmal fast abstrakte, ausschnitthafte Versuche, die Tristesse dieser Zeit einzufangen, eine bleierne Zeit, ein Endzeitgefühl, in dem die Menschen schon einen Epochenwechsel spürten. Es war eine „Hängepartie mit unbekanntem Ziel“, wie Dercon es charmant und mit einem ironischen Augenzwinkern auf den Punkt bringt. Man könnte auch einfach sagen: No Future.Janos Frecot, der die Ausstellung von „Waffenruhe“ 1987 organisiert hat, schrieb in der Erstausgabe des Buches, es sei keins über Berlin, „aber eine Arbeit, die so nur in Berlin gesehen, gelebt, fotografiert und geschrieben werden kann.“ Genau das ist es, was sie im Zusammenhang mit der Volksbühne so interessant macht.

Chris Dercon hat ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt, nach dem tränenreichen Abschied von der Ära Castorf und dem moralischen Sieg über die einwöchige Besetzung des Hauses im Herbst noch immer keinen leichten Stand. Es gab noch nicht viel zu sehen vom Theater, das er lanciert, an vielen Tagen gar keinen Spielbetrieb, auch an diesem Mittwochabend wirkt das Haus trotz gut besuchter Veranstaltung seltsam unbelebt. Bislang konnte Dercon nicht damit aufräumen, er mache austauschbares, globalisiertes Theater. Er würde das Spezifische, lokal Verankerte dieses Hauses kaputt machen, lautete der Vorwurf. Nicht nur die Fans der alten Volksbühne tragen ihm bis heute seine Aussage nach, Berlin habe in letzter Zeit keine wirklich bedeutenden Künstler hervor gebracht.

Der Zeitpunkt, die Fotografien von Michael Schmidt zu zeigen, ist gut gewählt. Am 5. Februar ist die Mauer genauso so lang verschwunden, wie sie zuvor bestand: 28 Jahre. Die Teilung hat Berlin zu einer Stadt gemacht, die anders ist als alle anderen dieser Welt – und gerade ist sie in Gefahr, dieses andere zu verlieren. Insofern wirkt es fast wie eine Zugeständnis, wenn Chris Dercon Bilder wie solche von Michael Schmidt an sein Haus werfen lässt.

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