: Alles erlaubt, nur kein Weiß
Tennis galt in der DDR als Sport des Klassenfeindes. Das spürt man in Ostberlin bis heute
Von Andreas Hartmann
Wer wie ich in den großen Zeiten von Tennis in der BRD Ende der Achtziger in einem westdeutschen Tennisverein den Sport von Steffi Graf und Boris Becker erlernte und dann Jahre später in Berlin den TC Friedrichshain an der Modersohnbrücke entdeckte, für den war diese Begegnung ein echter Kulturschock. Tennis damals in meinem Heimatverein in Süddeutschland war so, wie man sich das im Allgemeinen vorstellt. Rechtsanwälte und Zahnärzte spielten einen gepflegten Ball mit ihren Gattinnen und danach gab’s Sektchen. Mercedes-Limousinen vor dem Clubhaus, Lacoste-Polo-Shirts, das ganze Programm.
Beim TC Friedrichshain dagegen: eine bessere Baracke, die sich Clubhaus nannte, ein schrulliger Platzwart, der Heinz, der das Neue Deutschlandlas und weiter vom Sozialismus träumte, und im Kühlschrank ein Bier für einen Euro zur Selbstbedienung und weit und breit nicht einmal Rotkäppchensekt.
Tennis war in der DDR der Sport des Klassenfeindes, wurde nie gefördert und nur als Betriebssport geduldet. Und dieses Erbe sieht man den Tennisvereinen im Osten Berlins bis heute an, die mit dem Glanz so mancher Vereine im Westen der Stadt, mit dem es nach dem Ende des großen Tennis-Booms freilich so weit auch wieder nicht her ist, nichts gemein haben.
Unser Platzwart Heinz sagt immer, bei uns dürfe jeder spielen, wie er wolle, außer in Weiß. Bei uns gibt es ganz bewusst keine bezahlte Werbung und kein Sponsoring. Gut, Rolex hat auch nie angefragt, aber sie hätten ein Nein zu hören bekommen. So viel Antikapitalismus leisten wir uns ganz bewusst. Sämtliche Tennis-Klischees ins Gegenteil gekehrt, das ist der TC Friedrichshain. Auch ein Tennisclub kann somit das sein, was man in linken Kreisen gern einen Freiraum nennt. Queers, DJs, freischaffende Künstler, Leute, die gerade so über die Runden kommen, sie alle sind bei uns im Verein. Ob Sie es glauben oder nicht: Wir sind ein Tennisverein und dennoch – und diese Einschätzung ist wichtig für das Folgende – eher Rigaer Straße als Mediaspree.
Denn wäre all das bereits Beschriebene dem Friedrichshainer Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen wirklich klar, der sonst so entschieden gegen Gentrifizierung und Verdrängung eintritt, würde er die Besonderheiten des TC Friedrichshain verstehen, hätte er vielleicht nicht einen Bebauungsplan, der unseren Tennisverein existenziell bedroht, einfach so durchgewunken, wie er es nun getan hat.
Auf unsere ersten beiden Plätze soll nach diesem Plan noch diesed Jahr eine Schulsporthalle kommen, weil sich in der nahe gelegenen Emmanuel-Lasker-Schule die Zahl der Schüler in unmittelbarer Zukunft verdoppeln wird. Direkt vor die Terrasse unserer Clubhauses. Ein soziales Vereinsleben wäre damit wohl nur noch sehr eingeschränkt möglich. Das ist das eine. Vier statt sechs Plätze würden wahrscheinlich nicht gleich das Todesurteil bedeuten, aber fast. Der Verein mit seinen 330 Mitgliedern platzt jetzt schon aus allen Nähten und hat seit Jahren Aufnahmestopp. Er müsste ein Drittel seiner Mitglieder loswerden. Keine Ahnung, wie das gehen soll.
Die Schüler brauchen eine Sporthalle, das ist dem Verein klar. Aber gibt es dafür nur einen passenden Standort? Zig Ideen für Alternativlösungen wurden in den letzten Jahren ausgetauscht, Gespräche geführt, Bezirksverordnetenversammlungen abgehalten. Grünflächenamt, Denkmalschutz, Schuldirektoren, alle verhandelten mit. Mit dem immer gleichen Ergebnis: Unsere Plätze müssen der Schulsporthalle weichen. Bei der bislang letzten BVV entschuldigte sich mehr oder weniger das gesamte Gremium dafür, dass das alles wirklich nicht optimal lief, der Verein zu wenig in die Planungen einbezogen worden sei, aber was solle man machen. Die Gelder für den Hallenbau seien bereits bewilligt, ab Oktober 2018 sollen die Bagger rollen, so der Friedrichshainer Schul- und Sportstadtrat Andy Hehmke (SPD).
Und was bei uns passiert, ist kein Einzelfall. Auch der ebenfalls zentral gelegene TC Mitte, der über eine feste Tennishalle und vier Außenplätze verfügt, ist bedroht. Er soll sämtliche seiner Plätze im Freien verlieren, weil genau dort ein Pausenhof für eine Grundschule in der nahe gelegenen Adalbertstraße geschaffen werden müsse, so glaubt Senatsbaudirektorin Regina Lüscher von der SPD in Mitte. Nach dem Plan bliebe dem Verein noch seine Halle, nur wäre er dann kein Verein mehr, sondern ein Tennishallenbetreiber.
Aber interessiert sich denn überhaupt noch jemand für Tennis? Man mag es kaum glauben, aber Tennis ist nach Fußball immer noch die zweitbeliebteste Sportart Berlins. Felix Rewicki, der Geschäftsführer des Tennisverbandes Berlin-Brandenburg, glaubt, in Friedrichshain, wo wir der einzige Tennisverein überhaupt sind, gäbe es locker das Potenzial von bis zu 800 Mitgliedern. Es bräuchte also eigentlich mehr Tennisplätze statt weniger. Er sagt, seiner Erfahrung nach hätten die Bezirke im Osten Berlins jedoch kaum ein Augenmerk auf Tennis, was sicherlich auch mit der hier fehlenden Tradition zusammenhänge. Westberliner Vereine dagegen hätten langfristige Pachtverträge oder ihnen gehörten gleich Grund und Boden, auf dem sie sich ausgebreitet haben. Die neue Betrachtung von Tennisplätzen als Brachen, die man nun mit vermeintlich Notwendigerem zubauen will, wie sie nun im Osten Berlins vorgenommen wird, ist somit nicht nur etwas, das die Kommunen etwas angeht, sondern eine politische Frage, die die ganze Stadt betrifft. Der TC Mitte und der TC Friedrichshain sind von etwas betroffen, das in den Westbezirken Berlins so wahrscheinlich gar nie möglich wäre. Die Berliner Mauer, beim Thema Tennis steht sie noch und wird nun sogar ein Stückchen höher gezogen.
Eine Fläche für zwei Ersatzplätze beinahe einen halben Kilometer weiter soll es immerhin für uns geben. Gelder für den Bau der neuen Plätze, für die noch zwei Dutzend Bäume gefällt werden müssten, werden nach bisherigem Stand nicht bewilligt. Ob und wie der Verein Geld dafür auftreiben kann, ist fraglich. Die Kosten würden im unteren sechsstelligen Bereich liegen. Der TC Friedrichshain hat nie groß Gelder erwirtschaftet, das darf er als Verein gar nicht. Und bei uns fährt man Fahrrad und keinen Porsche.
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