„Kein Depot für abgelegte Dinge“

Bei der Nachnutzung der Dahlemer Museensollte doch Europa das prägende Thema sein,meint Burkhart Sellin vom Dahlemer Appell

Burkhart Sellin

Burkhart Sellin, geboren 1941, war langjähriger Mitarbeiter des Europäischen Zentrums für Berufsbildung, gegründet durch die EG, das 1995 von Berlin nach Thessaloniki verlagert wurde. Privat pendelt er noch immer zwischen Berlin und Thessaloniki.

Interview Susanne Messmer

taz: Herr Sellin, wann und warum haben Sie und Ihre Mitstreiter den Dahlemer Appell gegründet?

Burkhart Sellin: Wir haben 2016 das Thema aufgegriffen. Damals stand der Umzug des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst aus Dahlem ins Humboldt Forum nach Mitte bevor. Damals wie heute wies nichts darauf hin, dass jemand Blöcke in das Thema Nachnutzung einziehen möchte. Wir sind der Meinung, dass man das Thema Zwischennutzung völlig vernachlässigt hat. Man hätte etwa seit dem Umzug die freie Künstlerszene dort arbeiten lassen können. Außerdem wird es noch zwei Jahre dauern, bis die Sammlungen der Museen im Humboldt Forum wieder ganz zu sehen sein werden. Darum muss verhindert werden, dass sie in Vergessenheit geraten. Wir hatten also auch vorgeschlagen, dass die postkolonialen Bestände hier bleiben und nur die wirklich altertümlichen ins Humboldt Forum wandern.

Ist das realistisch?

Die Museen werden von der SPK, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, getragen. Deren Präsident Hermann Parzinger hat 2017 verkündet, er wünscht sich in den Dahlemer Gebäuden die Abgusssammlung der FU, ein Depot, die Zusammenführung der Bibliotheken und einen Ort, an dem sich die Wissenschaft öffnen kann, einen Forschungscampus. Wir halten das – und da sind wir mit Kultursenator Klaus Lederer von den Linken ganz einer Meinung – für wenig wünschenswert, dass Dahlem eine Resterampe wird. Nur leider lässt sich die SPK weder politisch kontrollieren noch in die Karten gucken.

Was missfällt Ihnen an den Vorschlägen Parzingers?

Wenn die Museen zum Depot für abgelegte Dinge würden oder zur Nutzungsfläche für die FU, wären sie nicht mehr zugänglich für das Publikum. Dahlem war einmal eine Attraktion, für Berliner wie für Touristen weltweit. Wir finden es deshalb nicht richtig, dass so vieles nach Mitte wandert.

Wie würden Sie die Museen gern nachnutzen?

Hinter dem Dahlemer Appell steht unser Verein Wir in Europa. Für unseren Geschmack stellt das in Dahlem verbleibende Museum für Europäische Kulturen den europäischen Gedanken nicht genug ins Zentrum. Es beschränkt sich zu sehr auf regionale Entwicklungen und Kunstgewerbliches. Wir denken, dass in Dahlem der Europaaspekt verstärkt werden könnte.

Inwiefern?

Wir haben publikumswirksame Ausstellungen rund um die Mitgliedstaaten der EU im Auge und können uns europäische Wettbewerbe junger Theater- und Musikgruppen vorstellen, in denen sich Lebensgefühle und Traditionen ihrer Regionen widerspiegeln. Dahlem könnte nach unserer Ansicht zu einem Kunst- und Kulturzentrum werden, in dem zentrale Fragen des europäischen Kultur- und Wirtschaftslebens diskutiert werden. Wir diskutieren derzeit auch über die Sozialunion, bei der keine Einigung in Sicht ist. Ein effektiver sozialer Ausgleich europaweit ist längst überfällig. Sozialdumping zu bekämpfen ist ein Riesenthema – ebenso wie die Anerkennung von beruflichen und akademischen Qualifikationen. Vielen Absichtsbekundungen stehen Abwehrhaltungen der einzelnen Mitgliedstaaten entgegen. Es ist wichtig, diese Themen am Kochen zu halten durch breite Initiativen von unten.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass solche Themen in Dahlem diskutiert werden könnten?

Parzinger nimmt in seinen Äußerungen zu Dahlem das Europathema auf, aber keiner weiß, wie das wirklich in seinem Team besprochen wird. Berlin könnte gut und gern versuchen, in ein paar Jahren Kulturhauptstadt Europas zu werden, indem es die Dahlemer Museen in den Mittelpunkt rückt.

Was halten Sie vom Humboldt Forum, wo die Sammlungen der Dahlemer Museen ab 2019 präsentiert werden?

Tja, das Schloss ist für mich reine Berliner Großkotzigkeit. Ich war immer gegen den Wiederaufbau, ich finde aber auch die Inhalte anachronistisch. Da könnte eine konsistente Nachnutzung Dahlems einen Gegenpol setzen.