: 403 Tage, 600 Zeugen
Von Konrad Litschko
Es ist die Schlussetappe in einem monumentalen Prozess. Seit 403 Prozesstagen wird in München über die NSU-Terrorserie verhandelt, rund 600 Zeugen wurden befragt. Wenn demnächst die Schlussworte der Nebenkläger beendet sind, stehen nur noch zwei Schritte aus: die Plädoyers der Verteidiger. Und das Urteil.
Der Auftritt der Verteidiger könnte noch einmal turbulent werden. Denn für Beate Zschäpe wird es gleich zwei davon geben. Bereits vor dreieinhalb Jahren hatte sich die Hauptangeklagte mit ihren Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm überworfen. Ein Jahr später gewährte ihr das Gericht mit Mathias Grasel einen neuen, zusätzlichen Anwalt. Mit ihm brach Zschäpe ihr Schweigen im Prozess. Da beide Anwältelager indes nicht miteinander sprechen, wird nun zweimal für Zschäpe plädiert – Konfusionen wohl nicht ausgeschlossen. Offen bleibt, ob Zschäpe das „letzte Wort“ nutzt und selbst noch etwas kundtut.
Die Bundesanwaltschaft hat ihr Schlusswort bereits gehalten und für Zschäpe die Höchststrafe gefordert: lebenslängliche Haft, bei besonderer Schwere der Schuld. Auch wenn die 43-Jährige an keinem Tatort gewesen sei, habe sie alle Taten unterstützt, die Bekenner-DVD verschickt und die Gruppe als Logistikerin zusammengehalten.
Neben Zschäpe sind vier Männer als Terrorhelfer angeklagt; auch deren Verteidiger werden in den kommenden Wochen Schlussworte halten. Kontrovers dürfte es bei Ralf Wohlleben zugehen. Der frühere NPD-Funktionär ist als Waffenbeschaffer des NSU angeklagt, zwölf Jahre Haft fordern die Ankläger für ihn. Seine Anwälte neigten im Prozess zu Provokationen: Mal beantragten sie, einen NPD-Mann als Sachverständigen zu laden, mal, den Tod des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aufzuklären. Nun könnten weitere Ausfälle drohen.
Auch Carsten S. ist als Waffenbeschaffer angeklagt: Er überbrachte die Česká-Pistole, mit der der NSU neun seiner Opfer erschoss. Als einziger Angeklagte packte er vollständig aus. Einige Betroffene rechnen ihm das hoch an und forderten, S. nur zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen. Auch die Bundesanwaltschaft will ihn für nur drei Jahre hinter Gittern sehen.
Anders bei André E.: Er half dem Trio offenbar bis ganz zum Schluss und schweigt als einziger Angeklagter eisern. Vom NSU hat er sich nie distanzierte, auch während des Prozesses besuchte er rechte Aufzüge. Die Bundesanwaltschaft forderte für André E. eine zwölfjährige Haftstrafe – und ließ ihn unlängst wegen Fluchtgefahr noch im Gerichtssaal festnehmen.
Schließlich ist noch Holger G. angeklagt. Er soll dem Trio eine Waffe und Papiere beschafft haben – und soll dafür fünf Jahre in Haft. Sind auch G.s Schlussworte beendet, folgt das Urteil. Richter Manfred Götzl hat aber auch für den Fall weiterer Verzögerungen vorgesorgt – und den Prozess sicherheitshalber bis August terminiert.
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