heute in hamburg
: „Opfer bekamen nichts vom NS-Vermögen“

Foto: privat

Marc-Simon Lengowski, Jg. 1986, hat Lehramt für Deutsch und Geschichte studiert und seine Promotion über NS-Vermögen verfasst.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Lengowski, wie groß war das Vermögen der Hamburger NS-Organisationen bei Kriegsende 1945?

Marc-Simon Lengowski: Es belief sich auf 59 Millionen Reichsmark, 197 Grundstücke, 130 Gebäude, 95 Baracken sowie Inventar für 2,5 Millionen Reichsmark.

Woher kamen diese Werte?

Es waren großteils Mitgliedsbeiträge der 26 Hamburger NS-Organisationen. Darunter waren die NSDAP, die SS und die SA, aber auch kleinere Gruppen.

Besaß die NSDAP auch von Juden geraubtes, „arisiertes“ Vermögen?

Relativ selten; dieses Vermögen landete meist nicht in der Partei, sondern bei Privatpersonen oder Firmen. Eine Ausnahme war die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“. Sie hat die Vermögen der Gewerkschaften gestohlen.

Wer bekam das NS-Vermögen nach 1945?

Die Alliierten – in Hamburg die Briten – haben es zunächst gesperrt, verwaltet und für öffentliche Aufgaben wie Krankenhäuser und städtische Behörden verwendet, die Bedarf anmeldeten.

Man hätte von dem Geld auch NS-Opfer entschädigen können.

Ja, aber das geschah nicht. Es gab in Hamburg keine laute Stimme, die dafür plädierte, das Vermögen für Opferentschädigung einzusetzen. Stattdessen wurde das Vermögen von einzelnen starken Gruppen sehr zielgerichtet in Beschlag genommen: zunächst die Bundesländer, dann die Bundesregierung und andere Gruppen.

Welche?

Zum Beispiel die Gewerkschaften des DGB. Sie sagten: Wir sind die einzigen legitimen Erben der Gewerkschaften aus der Weimarer Republik. Uns muss alles Vermögen gehören, das mal einer Gewerkschaft gehörte – sowie alles Vermögen, das das NS-Regime für gewerkschaftliche Zwecke gebildet hatte. In der Tat hat der DGB von allen Gewerkschaften am meisten Geld aus dem NS-Vermögen erhalten, weil die Briten diesen Gewerkschafts-Dachverband fördern wollten.

Verlief die Neuverteilung von NS-Vermögen in anderen Bundesländern ähnlich?

Schwer zu sagen. Ich bin bislang bundesweit der einzige, der zum Umgang mit NS-Vermögen geforscht hat. Es gab aber mit Sicherheit in anderen Bundesländern noch mehr NS-Vermögen als in Hamburg.

Vortrag über Hamburgs Umgang mit dem einstigen NS- und Reichsvermögen: 18.30 Uhr, Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Beim Schlump 83