Das Ding, das kommt: Ka-wumm!
Als ginge es um einen neuen „Star Wars“-Film: Um Mitternacht eröffnete am Donnerstag eine Aldi-Filiale in Berlin-Spandau den diesjährigen Feuerwerkskörperverkauf, und zumindest laut der eigenen PR konnte der Discounter „mehrere Hundert Kunden“ begrüßen. „Da macht man gern um Mitternacht den Laden auf“, ließe sich der Filialleiter zitieren. War es nun der Event-Charakter, der die Leute kommen machte – immerhin gab es Glühwein und irgendwelche heißen Würstchen? Der verloste 500-Euro-Einkaufsgutschein? Oder am Ende doch vor allem die Aussicht darauf, früher als der doofe Nachbar böllern und knallen und Rakete steigen lassen zu können?
„Die Tradition, das neue Jahr lautstark mit Knallern und Raketen zu begrüßen, ist jahrhundertealt“, dichtete dieser Tage eine Hamburger Krankenkasse. „Dennoch entspricht das Zünden von Feuerwerk offensichtlich mehr denn je dem aktuellen Zeitgeist: Jedenfalls meldet die pyrotechnische Industrie jedes Jahr neue Rekorderlöse. Zum vergangenen Jahreswechsel jagten die Deutschen insgesamt 137 Millionen Euro in die Luft.“ So wie aber hinter jeder Clownsmaskerade bekanntlich die Tränen lauern, habe „das bunte Treiben am Himmel und auf Erden“ selbstredend „auch seine Schattenseiten“, und schon sind wir beim zuverlässigem Jahresanfangs-Konversationsthema, allemal gefährdete Reetdächer toppend, lärmgepeinigtes Nationalparkgetier oder die stets irgendwo im Osten fabrizierten Horrorknaller: dem Blaulichtaufkommen. So referiert die erwähnte Krankenkassenpressemitteilung, die Feuerwehr in Berlin sei zur Jahreswende 2016/17 „über 1.500 Mal“ ausgerückt, die in München „sogar 2.000“ Mal, und da erklärt sich beinahe von selbst, warum die schönste Elbperle an der Alster Auen, Hamburg also, nicht erwähnt wird: gerade mal 1.000 Einsätze, aber eine „sehr unruhige Nacht“ beklagen, so wie jener Feuerwehr-Sprecher gegenüber dem NDR? Kleinstadt-Niveau!
Nun ist leichtfertiger Umgang mit Schwarzpulverprodukten kein Witz, erst recht nicht angesichts all der silvesternächtens konsumierten Alkoholika und sonstigen Substanzen, ja: Man möchte sich darüber wundern, dass da nicht noch viel mehr ins Auge geht. Im Sinne der Prävention setzte Hamburgs Feuerwehr jetzt auf eine Schockstrategie: Sie ließ junge Frauen posieren, mit aufgeschminkten Kopfverletzungen und, noch spektakulärer, fingierten abgerissenen Fingern und Händen: So kann es kommen, wenn du nicht aufpasst mit Rakete und Böller (und Bier). Damit mag die Zielgruppe abgeholt sein, andererseits: Können wir sicher sein, dass das nicht gleich wieder irgendwer total krass findet – und geile Street Promo für „The Walking Dead“? Alexander Diehl
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