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Ich, ein Spielball der Hormone

Spritzen in den Bauch, Wichsen in der Schießbude und jede Menge Zweifel: Der Weg zum eigenen Kind mittels Kinderwunschklinik kann frustrierend sein

Als die Diagnose kommt, dass wir auf natürlichem Weg sehr wahrscheinlich keine Kinder bekommen können, haben wir etwa ein halbes Jahr Probieren hinter uns. Dass es schwer werden könnte, war uns klar: In der Jugend hatte der Mann eine Hodenentzündung, die hat Schäden hinterlassen.

Der Mann hat einen Termin beim Urologen, von dem er mit einem niederschmetternden Ergebnis zurückkommt: Die Schwimmer sind langsam, sie sind wenige und die wenigen haben auch noch Kopf- und Schwanzdefekte. Bei mir klingt alles noch machbar: Schilddrüsenunterfunktion, mit Tabletten zu behandeln. Die Frauenärztin rät zu Geschlechtsverkehr nach Plan (GNP). Morgens pinkle ich also auf einen Ovulations-Test, sind beide Streifen gleichmäßig rosa, sage ich dem Mann Bescheid: Wir müssen ran.

Eine fiese Zeit. GNP zerstört jeden Zauber in einer Beziehung. Wir sind dafür nicht gemacht. Nach einem weiteren halben Jahr steht der Termin in der Kinderwunschklinik an und wir sind froh, dass Sex und Kinderkriegen bei uns ab jetzt nicht mehr zusammengehören.

In der Kinderwunschklinik sind sie optimistisch, obwohl wir von vornherein die große Nummer bekommen: Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Aber vorher gilt es noch ein paar Hürden zu überwinden. Wir sind zwar in der Altersgruppe, in der die künstliche Befruchtung bezahlt wird, verheiratet sind wir allerdings nicht und hatten das auch nicht vor. So langsam bricht das Gefühl über uns herein, dass wir in dieser Sache fremdbestimmt werden: Geschlechtsverkehr nach Plan, Heiraten, Krankenkassenwechsel, Kinderwunschklinik.

Wir heiraten. Zu zweit. Und beschließen, uns nicht unterkriegen zu lassen. „Wir haben einen Fruchtbarkeitsschnupfen“, sagt der Mann. Als Mann und Frau wechseln wir die Krankenkasse, die neue übernimmt damals sogar 100 Prozent der Kosten, am Tag des Eintritts ist die ICSI genehmigt.

Drei wird es dann auch brauchen, wir machen sie gegen den Rat der Ärzte ohne Pausenzyklen. Ich bin schlecht im Warten und der Mann überlässt mir die Entscheidung. Die erste wird eine Totalkatastrophe, ich vertrage die Medikamente nicht, die Hormone machen mir zu schaffen, ich habe Kreislaufprobleme und bin heulig.

Die Eizellenpunktion ist kein Spaß. Nüchtern muss ich in der Klinik erscheinen, dann gibt es eine Vollnarkose. Während ein Arzt mit einer langen Punktionsnadel meine Scheidenwände durchsticht, um die Follikel aufzupieksen und die Eizellen abzusaugen, sitzt der Mann nebenan im Porno-Zimmer, das wir Schießbude nennen, und muss sich einen runterholen. Danach liege ich den ganzen Tag im Bett und habe Bauchschmerzen. Bei der Punktion werden nur zwei Eizellen gefunden, die lassen sich nicht befruchten, es kommt erst gar nicht zum Transfer.

Der Mann und ich bleiben optimistisch, obwohl klar ist, dass ich den Wechseljahren schon viel näher bin, als ich es in meinem Alter (33) sein sollte. Wir weigern uns, unsere Unfruchtbarkeit als Stigma zu sehen und erzählen unseren Eltern und den Freunden davon, viele öffnen sich daraufhin auch. In unserem Freundeskreis gibt es einige, bei denen es nicht ohne medizinische Hilfe klappt, sie sind froh, jemanden zu finden, mit dem sie sprechen können. Und wir auch. In der Klinik treffe ich eine Bekannte. Wir sind viele.

Bei der zweiten ICSI gibt es andere Medikamente. Das bedeutet zwar, dass ich mir jeden Abend zwei Spritzen setze, aber das mache ich mittlerweile wie ein Profi. Und durch umfangreiche Recherchen weiß ich, dass dieses sogenannte Protokoll bei low respondern wie mir große Erfolgsaussichten hat. Auch von dieser ICSI werde ich nicht schwanger, aber es gibt Fortschritte, vier Eizellen werden entnommen, zwei eingesetzt.

Ich habe oft geweint, und häufig nicht gewusst, ob ich meinen Gefühlen trauen kann, oder ob meine Emotionen dem Hormoncocktail geschuldet sind

Die schlimmsten Tage sind die vor dem Schwangerschaftstest. Ich versuche, in meinem Körper hineinzuhören, etwas zu fühlen und muss doch abwarten, bis die Klinik mir das Ergebnis mitteilt. Wenn eine ICSI mit einem negativen Ergebnis endet, kann keiner sagen, woran es lag. Man kann es dann beim nächsten Versuch auf die gleiche Weise versuchen oder kleinere Dinge ändern. Unsere Eizellen bekommen ab jetzt ein Kalziumbad, zusätzlich wird vor dem Transfer die Eihülle angeritzt (assisted hatching), um dem Ei das Schlüpfen zu erleichtern. Das kostet. Aber obwohl wir nicht wirklich viel verdienen, hatten wir abgemacht, dass Geld kein Thema sein soll.

Parallel zur dritten ICSI, die auch die letzte sein soll, die die Kasse bezahlt, beginnen wir mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM). Wir trinken Tees, stellen die Ernährung um, ich bekomme Akupunktur. Bei der dritten ICSI werden dann schon sechs Eizellen gewonnen, vier lassen sich befruchten, zwei werden mir sofort eingesetzt, zwei werden eingefroren. Und mir geht es auch psychisch besser, die Termine beim TCM-Spezialisten bauen mich auf und ich habe das Gefühl, dass ich selbst etwas zu einer erfolgreichen Behandlung beitragen kann.

Doch auch von diesem Transfer werde ich nicht schwanger. Der Mann und ich haben die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, bei jedem Versuch hat es Fortschritte gegeben, wurde in der Klinik etwas Neues versucht und der Akupunkteur verbreitet Optimismus.

Der Kryo-Zyklus, bei dem die eingefrorenen Eizellen verwendet werden, ist weit entspannter, weil man nur wenig Hormone nehmen muss. Die beiden Eizellen überleben das Auftauen und werden mir eingesetzt.

In diesen sechs Monaten Kinderwunschbehandlung habe ich knapp zehn Kilo zugenommen, ich sehe schwanger aus, bin es aber nicht. Ich habe mir etwa 50 Spritzen in den Bauch gesetzt, die meisten davon zur Follikelstimulation, etliche zur sogenannten Downregulierung und ein paar, um den Eisprung auszulösen oder die Einnistung zu fördern. Ich habe hunderte Tabletten geschluckt und in manchen Zeiten habe ich mir täglich neun kleine Kügelchen in die Vagina eingeführt. Ich war manchmal mehrere Male pro Woche in der Kinderwunschklinik, etliche Male wurde mir dabei Blut abgenommen. Drei Mal wurde ich in eine Vollnarkose versetzt, drei Mal war ich beim Transfer, drei Mal bekam ich einen Anruf: Sorry, hat nicht geklappt. Etwa 5.000 Euro hat uns die Kinderwunschbehandlung inklusive TCM gekostet, alles Kosten, die die Kasse nicht übernimmt.

Ich habe oft geweint, und häufig nicht gewusst, ob ich meinen Gefühlen trauen kann, oder ob meine Emotionen dem Hormoncocktail geschuldet sind. Der Mann und ich aber haben zusammengehalten und waren uns immer einig. Unsere Beziehung hat diese schlimme Zeit nicht belastet, eher gestärkt.

Zwei Wochen nach dem Kryo-Transfer bekomme ich einen Anruf aus der Klinik. Das Schwangerschaftshormon HCG ist in meinem Blut nachweisbar, aber um von einer intakten Schwangerschaft zu sprechen, ist die Konzentration zu niedrig. Doch sie steigt. In der 7. Schwangerschaftswoche bekomme ich Blutungen – und Angst. Im Ultraschall sieht man eine leere Fruchthöhle – und ein kleines Herz, das schlägt.

Sieben Monate später kommt unser gesunder Sohn auf die Welt. Und 1,5 Jahre später sein Bruder, ganz ohne medizinische Hilfe.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt. Sie möchte anonym bleiben, um die Privatsphäre ihrer Kinder zu schützen.

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