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Neue Rollen gesucht

In Schleswig-Holstein finden sich Grüne und Gelbe mit neuem Partner in der Regierung wieder. Der SSW muss Opposition wieder lernen, und die AfD gibt es auch noch

Von Esther Geißlinger

Ein halbes Jahr nach dem Ende der Koalition mit der SPD und den Grünen hat der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in seine Rolle als „Oppositionskraft ohne ideologische Schranken“ zurückgefunden, wie es der SSW-Abgeordnete Lars Harms ausdrückt. Die Partei der dänischen und friesischen Minderheit ist von der Fünf-Prozent-Klausel befreit, ihre Vertre­terInnen sitzen nur zu dritt im Landtag.

Die aktuelle Jamaika-Koalition betrachtet Harms mit gemischten Gefühlen. „Durchwachsen“ sei die Bilanz der ersten sechs Monate. Dabei hat er inhaltlich nicht so viel an Schwarz-Grün-Gelb auszusetzen, es gebe durchaus „eine Offenheit, sich mit Anträgen der Opposition zu befassen“, sagt Harms. „Das haben wir in den vergangenen Jahrzehnten nicht bei allen Regierungen erlebt.“

Dennoch fürchtet Harms gerade bei Bildungsthemen Rückschritte: „Es wird wieder über Strukturen statt über Inhalte gesprochen.“ Und eine Spitze geht in Richtung des Umweltministers Robert Habeck (Grüne): „Dafür, dass wir ein Ministerium für Digitalisierung haben, tut sich bemerkenswert wenig.“

Die Grünen und die Lösung von alten Partnern

Es habe eine Weile gedauert, bis sich die Grünen von den alten Partnern SPD und SSW emotional richtig getrennt hätten, sagt deren Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben. „Schließlich hat die Küstenkoalition gute Arbeit gemacht“, findet sie. Aber auch in der jetzigen Jamaika-Koalition klappe es richtig gut. Obwohl CDU und FDP den Grünen inhaltlich nicht näher gekommen seien. So müssten die Grünen mehr für ihre Inhalte kämpfen und ihr Profil schärfen.

Während die Grünen von der CDU fast totgekuschelt werden – kein Gespräch mit Christdemokraten ohne Lob an den Koalitionspartner – arbeitet sich die SPD am früheren Verbündeten ab. So gibt es im Landtag immer wieder Anträge, bei denen die Grünen inhaltlich eigentlich mit der Opposition stimmen müssten, wie jüngst zu einem Winterabschiebestopp. Die CDU nimmt’s gelassen als nur allzu deutliche Versuche, die Regierungsparteien zu spalten.

Die Grünen ärgern sich über versäumte Chancen: „Diesen Antrag hätte die SPD stellen sollen, als wir noch gemeinsam regiert haben“, sagt von Kalben. In der aktuellen Lage bleiben die Grünem auf geradem Koalitionskurs. Soll heißen: Bei der Debatte im Landtag erklären sie ihre Sympathie für die Idee der Opposition, bei der Abstimmung heben sie die Hände mit CDU und FDP.

Die FDP und die Emanzipation von Wolfgang Kubicki

Der, von dem alle reden, spielt im Alltag seit Monaten keine Rolle im Landeshaus an der Kieler Förde. Zwar flog er zu den Parlamentssitzungen ein, aber ansonsten überließ Wolfgang Kubicki den parlamentarischen Kleinkram den übrigen acht Mitgliedern der FDP-Landtagsfraktion, um in Berlin über Jamaika zu verhandeln. Mitte Dezember feierte Kubicki dann nach fast 25 Jahren seinen Abschied vom Kieler Parlament.

Für die Kieler Jamaikaner bedeute der Weggang des FDP-Alphamännchens keinen großen Unterschied, heißt es einhellig im Landeshaus. Neuer Fraktionschef ist Christopher Vogt, der dieses Amt bereits monatelang inoffiziell ausübte. Für die Stimmung sei es sogar eher besser, wenn der „wandelnde Brandsatz“ fehle, sagt Lars Harms zum Thema Kubicki. „Ich fand ihn als Alterspräsidenten des Bundestags gut“, kommentiert Eka von Kalben – ein eher lauwarmes Kompliment.

Auch in der eigenen Fraktion gibt es einige, die sich ohne den Schnellredner Kubicki freier entfalten könnten. Und dass der Landeschef der Freien Demokraten nicht Kubicki, sondern seit vielen Jahren Heiner Garg heißt, könnte in Zukunft auch bekannter werden. Christopher Vogt argumentiert anders herum: „Früher wurde immer kritisiert, dass Schleswig-Holstein im Bund unterrepräsentiert sei – jetzt spielen einige Leute in Berlin eine wichtige Rolle, und das kann für das Land nur gut sein.“

Die AfD und die Isolation auf Rechtsaußen

Im Juli hat der Kieler Landtag dem AfD-Abgeordneten Volker Schnurrbusch einen Teil seiner Immunität entzogen, damit die Staatsanwaltschaft Lübeck seinen Rechner beschlagnahmen konnte. Es ging um einen Facebook-Post, bei dem die Antifa mit der SA gleichgesetzt wurde. Und im Dezember sorgte AfD-Landessprecherin Doris von Sayn-Wittgenstein für Aufsehen, als sie ihre Rede auf dem AfD-Bundesparteitag mit der Forderung in Falschdeutsch krönte, „dass die anderen uns um Koalitionsgespräche betteln“.

Die anderen Fraktionen haben sich auf eine klare Kante im Umgang mit den Rechtspopulisten geeinigt: „Wir werden nie die Hand für einen Antrag der AfD heben“, sagt Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD). Populistische oder fremdenfeindliche Anträge werden knapp zurückgewiesen, hetzerische Redebeiträge gekontert. So etwa bei der Haushaltsdebatte, bei der der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Nobis „Sprachunterricht für Flüchtlingskinder“ als Belastung für das Land einstufte. „Ein widerliches Menschenbild“, bescheinigte ihm der nächste Redner, Lars Harms, mehr Beachtung bekam die Rede nicht.

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