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Die Tanne von morgen

Empfindlich gegen schlechte Luft, aber hart im Nehmen. Die Weißtanne liebt es nass und kühl, ergänzt den Mischwald, der die biologische Vielfalt vom Boden bis zum Blätterdach im Wald stärkt. Im Klimawandel wird die Weißtanne daher interessant für den Waldbau

Von Ulrike Fokken

Nicht nur zu Weihnachtszeit stärkt die Weißtanne jeden Mischwald mit Wasseranschluss. Der Boden muss feucht sein, wo die Weißtanne Abies alba wächst. Sie mag es kühl und gedeiht auch im Schatten, weshalb sie Wälder mit kahlem Boden und dunklem Blätterdach verjüngen kann. Denn in einem natürlichen, mehrstufigen Wald mit Kräutern, Sträuchern, jungen Bäumen und einem hohen Kronendach wächst die Weißtanne auch im Schatten ihrer natürlichen Baumpartner Buche und Fichte.

Im Klimawandel wird die Weißtanne daher für Förster und Waldbesitzer interessant. „Wir brauchen eine möglichst hohe Baumartenvielfalt, weil wir alle nicht wissen, welche Folgen der Klimawandel auf die Waldbaumarten hat“, sagt Martin Guericke, Professor für Waldwachstumskunde an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. „In 50 oder 100 Jahren sehen wir dann, welche Art sich durchsetzt.“ Klar scheint zu sein, dass die Fichte keine guten Chancen hat im Klimawandel. Sie kommt wie die Weißtanne aus kalten und nassen Mittelgebirgen und den Alpen, wurzelt aber flach. Fichten kommen daher nicht an die tiefen feuchten Bodenschichten und leiden unter Trockenheit, die im Klimawandel zunimmt. Und weil sie nicht gut verankert ist, stürzt der Flachwurzler Fichte im Sturm schnell.

Als Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft auf 30 Prozent der Waldfläche muss die Fichte durch andere schnell wachsende Baumarten ergänzt und ersetzt werden. Viele Förster setzen auf die sogenannte Küstentanne Abies grandis. Sie kommt wie die Douglas-Fichte aus Nordamerika. Beide wachsen schnell, bringen also schnell Holz und Geld. Im Wald haben sie hierzulande jedoch keine Verwandten und stärken damit auch nicht die biologische Vielfalt. Bakterien, Pilze, Käfer, Spinner, Vögel haben ihr Leben in den vergangenen Jahrtausenden nicht auf Douglasie und Küstentanne abgestimmt, sondern auf Fichte, Kiefer und Weißtanne.

Weißtannen stützen das Ökosystem Wald. Selbst wenn Tannenhäher und Tannenmeise nicht nur von der Weißtanne abhängen, verrät ihr Name doch eine große Nähe zum Nadelbaum. Weißtannen ergänzen Buchen und Fichten und bilden mit ihnen artenreiche Mischwälder. Sie wurzeln bis zu 1,60 Meter tief und erschließen somit die Nährstoffe auch in schweren und tiefen Lagen. Weißtannen verbessern den Wasserspeicher Wald und stärken mit abfallenden Nadeln den Waldboden. „Eine gute Nadelstreu“ nennt das Waldwachstumsprofessor Guericke, denn die Nadeln der Weißtanne zersetzen sich innerhalb von zwei bis drei Jahren. Wer je in einem Kiefernwald mit der Hand im Boden gewühlt hat, weiß, dass Kiefernnadeln ewig halten. „Wir müssen darauf achten, dass die Nährstoffkreisläufe nicht gestört werden, denn der Wald wird ja nicht gedüngt wie ein Acker“, sagt Guericke. Gut für den Boden sind also die Bäume, die in dem Biotop zu Hause sind und schnell zerfallen.

Die idealen Lebensbedingungen findet die Weißtanne in Deutschland in den Alpen und den süd- und mitteldeutschen Gebirgen. Von allein würde die Weißtanne wohl nicht in das Flachland im Norden ziehen, doch sie wächst auch in Brandenburg und der Tiefebene. Die Weißtanne führt dennoch im Wald und Forst ein Schattendasein. Auf knapp zwei Prozent der Waldfläche in Deutschland wachsen Weißtannen. „Zu empfindlich“ fanden Förster die Weißtanne in den vergangenen Jahrzehnten.

Gut für den Boden sind also die Bäume, die in dem Biotop zu Hause sind und schnell zerfallen

Dreckige Luft aus Kraftwerken mag die Weißtanne gar nicht. Als die Schwefeldioxidkonzentrationen (SO2) in den 1960iger-Jahren anstiegen, prägten in den nächsten Jahrzehnten die absterbenden Äste der immergrünen Weißtanne das Bild vom Bergwald in Süddeutschland. Einmal geschwächt, legten Pilze und Borkenkäfer massenhaft Weißtannen um. Filter in den Kraftwerken haben die SO2-Emissionen gemindert, sodass sich die Weißtanne wieder erholt hat und die Bestände im Dürresommer 2003 kaum gelitten haben.

Kleine Weißtannen können Waldbesucher in vielen Wäldern an einer Plastikklemme auf dem Haupttrieb erkennen. Das ist kein Weihnachtsschmuck; Förster schützen damit die Weißtanne vor Rehen. Sie und auch Rothirsche schätzen den nährstoffreichen zarten Trieb, mit dem der Baum sich ins Licht nach oben zieht. Die Tiere fressen solange die hellgrünen Triebe von oben ab, bis die Tanne nur noch in die Breite wächst und dauerhaft auf Rehkopfhöhe steht. Wildverbiss und schlechte Luft aus Kraftwerken und Verbrennungsmotoren schädigen die Weißtanne derart, dass sie in Deutschland in der Roten Liste als „gefährdet“ gilt.

Als Weihnachtsbaum verspricht die Weißtanne und ihre teure Verwandte die Nordmanntanne hingegen ewiges Leben. Sie sind die moderne Variante des Lebensbaums, den unsere Vorfahren schon verehrten, als sie selbst noch auf den Bäumen saßen. Der Baum des Lebens, der den Kreislauf aus Werden und Vergehen in der Mittwinternacht symbolisiert.

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