Du bist heute wie neu

Großes Gefühl, soulful, aber kitschfrei: Die großen, leichten Siebziger-Jahre-Ost-Alben mit Manfred Krug und Günther Fischer werden endlich wiederveröffentlicht

Sie waren jung und wollten der Welt zeigen, dass sie was draufhaben: Manfred Krug im trendigen Look der Siebziger Foto: Klaus Winkler/dpa/picture alliance

Von Gunnar Leue

Vor ein paar Monaten erzählte ein Westberliner Plattenhändler von einem Skandal. Anlass war die Nominierung des im DDR-Plattenlabel Amiga erschienenen Albums „Uschi Brüning und das Günther Fischer Quintett“ für eine Beste-Alben-die-keiner-kennt-Liste des deutschen Rolling Stone. Nicht, dass es das Album von anno 1975 ins traditionell ostignorante Musikmagazin geschafft hatte, befand der Fachmann skandalös, sondern dass Amiga (beziehungsweise inzwischen Sony Music, die den Backkatalog besitzt) sie noch nicht wieder veröffentlicht hat.

Nun, immerhin sind jetzt andere Günther-Fischer-Alben aus jener Zeit wieder offiziell erhältlich. Und zwar die Amiga-Alben I bis IV von Manfred Krug und dem Günther Fischer Quartett: „Das war nur ein Moment“, „Ein Hauch von Frühling“, „Greens“ und „Du bist heute wie neu“ aus den Jahren 1971 bis 1976. Dass der 2016 verstorbene Schauspieler Manfred Krug nebenbei Sänger war, hatte das breite Publikum im Westen erst mitbekommen, als der sich in den Neunzigern immer öfter mit Kollege Charles Brauer durch den „Tatort“ trällerte.

Swing-Standards, schön und gut, aber kein Vergleich zu den Liedern, die Krug vor seiner Ausreise aus der DDR gesungen hatte. Man muss keine posthume Lobhudelei anstimmen, nur so viel: Die Musik auf den vier Alben gehört zum Besten, was deutschsprachige Sänger, die keine Scheu vor dem Normalhörer hatten, in jener Zeit hervorbrachten.

Aus Liedern wie „Du bist heute wie neu“ oder „Wenn’s draußen grün wird“ perlt hinreißender Siebzigersound. Großes Gefühl, soulful, aber kitschfrei und so weit weg vom DDR-Popmusikklischee wie damals Ostberlin von Motown Detroit. Dass so fesche Leichtigkeit, Alltagspoesie und musikalische Raffinesse tatsächlich aus den Amiga-Studios kam, verwundert heute fast noch mehr als damals. Diese einzigartige Mischung aus Jazz und Schlager, die in „Sonntag“ oder „Der Tag beginnt“ zum Vorschein kommt, hat nichts von ihrem Esprit verloren – und hält nebenbei die Erklärung parat, warum der aktuelle deutsche Stampfschlager so ist, wie er ist, sprich: plump. Manfred Krug hatte nie ein Problem, sich selbst als Schlagersänger zu sehen. Auf die Frage nach seinen diesbezüglichen Vorbildern nannte er allerdings: lauter Jazzsänger.

Der gelernte Stahlarbeiter hatte früh ein Faible für Jazz, weshalb er auch den Rat seiner Gesangslehrerin ignorierte, seines begrenzten Stimmtalents wegen auf Jazzgesang zu verzichten. (Einem hohen DDR-Funktionär folgte er gar mal mit einem Tonband voller Jazzhits bis ins DDR-Staatsratsgebäude, um ihm den Hass auf die amerikanische Musik auszutreiben.) In den 1960ern stand er mit den Jazz-Optimisten Berlin auf der Bühne und betörte mit seinen Liedern und rezitierten Texten das Publikum.

Es bedurfte allerdings des Zusammentreffens mit dem jungen Günther Fischer, um quasi das Genre des deutschsprachigen Schlagerjazz zu erfinden. Kennengelernt hatten sich beide Ende der Sechziger in der Big Band des DDR-Jazznestors Klaus Lenz. Krug war schon ein etablierter Star, auch als Sänger, während Fischer gerade sein Studium von Komposition und Arrangement an der Ostberliner Hochschule Hanns Eisler absolviert hatte und nach avantgardistischer Jazzerei trachtete. Nachdem er Krug auf dessen Wunsch zwei Lieder komponiert hatte, war die Zusammenarbeit für ein Album schnell besiegelt.

Natürlich auf Englisch, denn „wir waren jung und wollten der Welt zeigen, dass wir was drauf haben“, wie Fischer, der seit 1997 hauptsächlich in Irland lebt, bei einem Gespräch rückblickend erzählt. Außerdem habe man sich von den Schlagerfuzzis in Ost und West, die quasi ein Monopol auf die deutsche Sprache in der populären Musik jener Zeit hatten, absetzen wollen. „Als wir beim staatlichen DDR-Label Amiga anklopften, bekamen wir zu hören: ‚Krug und der Jazz-Fischer? Um Gottes willen, kein Mensch wird sich die anhören! Und dann noch in Englisch, nüscht is, versucht es auf Deutsch und dann reden wir weiter.‘“ Im Nachhinein sei er ziemlich froh, dass man sie zu deutschen Texte gezwungen hätte, sagt Fischer.

Manfred Krug hatte nie ein Problem, sich als Schlagersänger zu sehen. Auf die Frage nach seinen Vorbildern nannte er allerdings: lauter Jazzsänger

Seine Musik und Krugs Texte sei für viele Hörer zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen – jene Verbindung von Schlager und Jazz, der das Elitäre total abging. „Das trieb uns richtig an: Wir machen was, das es in dieser Form noch nicht gibt. Wir wollten keine Tagesschlager, sondern uns einreihen in die Musik eines Ray Charles.“ Eine kleine Motown-Exklave in Ostberlin! Der Ausbruch aus Amiga-Land klappte, das Publikum war begeistert und riss sich nach den Alben mit den ungewöhnlichen, einerseits nichtkonformen, aber auch nicht zu jazzig abgedrehten Liebesliedern. Im Studio erwies sich das Duo Fischer/Krug (begleitet von Topmusikern) als kongeniales Gespann, das durchaus Gefechte austrug, zum Beispiel wenn sich Fischer den Sänger mehr in Richtung Marvin Gaye wünschte. Krug, der als eigenmächtiger Kopf berüchtigt war, habe sich von ihm auch etwas sagen lassen, erzählt Fischer. „Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis.“

In der Bundesrepublik stießen die Sangeskünste des 1977 übergesiedelten Ost-Stars – bis zur „Tatort“-Zeit – auf wenig Begeisterung. Das 1979 von Peter Herbolzheimer produzierte Album „Da bist du ja“ (mit Caterina Valente und Joy Fleming) erhielt zwar Kritikerlob, floppte aber beim Publikum. Fischer produzierte derweil von der DDR aus Filmmusik unter anderem für Hollywood, etwa zum Film „Just a Gigolo“ mit David Bowie und Marlene Dietrich.

1993 kam es zum Bruch zwischen den Freunden, als Krug nach Lesen seiner Stasiakte seinen einstigen Partner bezichtigte, ihn vor der Ausreise fürs MfS bespitzelt zu haben. Was Fischer vehement abstreitet. Zu einer Aussprache zwischen den Männern ist es offenbar leider nicht mehr gekommen. Jedenfalls sagt Fischer, dass ihm wegen einer fehlenden Entschuldigung keine Versöhnung möglich gewesen sei und er deshalb die von Krug nach der Jahrtausendwende gewünschte Wiederaufnahme der Zusammenarbeit nicht wollte. Wie bedrückend die Nachwirkung der Geschichte für alle Seiten war, zeigte sich offenbar jüngst am Rande eines Konzerts bei einer Begegnung von Fischer mit Krugs Witwe Ottilie und Tochter Fanny, bei der wohl etliche Tränen flossen.

Um das außergewöhnliche Musikerduo Fischer/Krug nicht mit dieser dunklen Seite ihres Verhältnisses abschließend zu beschreiben, noch ein Nachtrag zu ihren Platten: Zu denen gehörte auf der Hülle traditionell auch ein Krug-Interview von Isa Karfunkelstein, hinter der niemand anders als Krug selbst steckte. Sie hatten also auch noch ein eigenes Plattentextgenre – Krug interviewt sich selbst – erfunden.

Manfred Krug: „Das war nur ein Moment. Krug mit Günther Fischer Band“ (Amiga/Sony Music)