Kommentar Förderpolitik: Diskriminierung per Sozialgesetz
Ob Paare mit Kinderwunsch finanzielle Unterstützung von der Krankenkasse bekommen, hängt vom Familienstand ab – und von der sexuellen Orientierung
Die Entscheidung ist wieder vertagt worden: Anfang November sollte der Hamburger Familienausschuss einen Antrag der FDP-Fraktion debattieren, wonach Hamburg zusätzliche Gelder bereitstellen soll, um Paare bei Kinderwunschbehandlungen zu unterstützen. Stattdessen wird nun abgewartet, welche Pläne die neue Bundesregierung diesbezüglich hat. Und das kann dauern.
Mehr als 62.000 Frauen haben sich 2016 in Deutschland einer Behandlung in einer Kinderwunschklinik unterzogen, Tendenz steigend. Dass sich Frauen zugunsten ihrer Karriere einfach zu spät für ein Kind entscheiden und deshalb medizinische Hilfe brauchen, ist es nicht allein: Für unerfüllten Kinderwunsch gibt es viele Ursachen, und sie betreffen Männer und Frauen.
Es gäbe vermutlich noch mehr künstliche Befruchtungen, wenn die gesetzlichen Regelungen, die den Zugang zu und die finanzielle Förderung von Kinderwunschbehandlungen bestimmen, nicht vollkommen aus der Zeit gefallen wären. Eine Frau, die mittels künstlicher Befruchtung schwanger werden möchte, ist im besten Fall heterosexuell, verheiratet und finanziell gut aufgestellt. Je weniger dieser Faktoren zutreffen, desto schwieriger wird die Erfüllung des Kinderwunschs mit medizinischer Hilfe.
Zwischen 2.000 und 3.000 Euro kostet ein Versuch der Reagenzglas-Zeugung oder der Spermieninjektion in die Eizelle. Seit 2004 sind die Krankenkassen gesetzlich nur noch dazu verpflichtet, die Hälfte der Kosten zu übernehmen, mit deutlichen Einschränkungen: Das Paar muss verheiratet sein, Ei- und Samenzellen vom Ehepaar stammen. Mehr als drei Versuche werden meist nicht bezuschusst.
Einige Bundesländer, darunter Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, ermöglichen weitere Finanzhilfen. Zum Teil werden auch nicht verheiratete Paare unterstützt – mit einem deutlich geringeren Betrag als Ehepaare. Einige Krankenkassen übernehmen weitere Kosten, für Paare mit Kinderwunsch lohnt sich also meist ein Kassenwechsel.
Jegliche Finanzhilfen fallen weg, wenn die 100-prozentige Unfruchtbarkeit des Mannes der Grund für den unerfüllten Kinderwunsch ist. Befruchtungen mit Spendersamen müssen die Paare selbst finanzieren.
Urkonservative Regelungen
Dass auch lesbische Frauen einen unerfüllten Kinderwunsch haben, wird in den urkonservativen Regelungen des sogenannten Sozialgesetzbuches vollständig ignoriert. Es spielt keine Rolle, dass sie an denselben Erkrankungen leiden können wie heterosexuelle Frauen. Bei der Erfüllung ihres Wunsches stehen sie allein da. Selbst wenn sich ein lesbisches Paar eine künstliche Befruchtung leisten kann: eine Kinderwunschklinik zu finden, die sich ihrer Probleme annimmt, ist nicht leicht. Denn bei der Geburt eines Kindes ist ein Mann automatisch per Gesetz der Vater. Bei einem lesbischen Paar muss die Co-Mutter das Kind erst adoptieren. Dieser Prozess kann ein Jahr dauern.
Bis die Adoption greift, befürchten einige Kliniken Unterhaltsansprüche der leiblichen Mutter und lehnen deshalb die Behandlung ab. Dabei ist kein einziger Fall bekannt, in dem eine Klinik oder ein Arzt für ein Kind zahlen musste.
Alleinstehende Frauen können sich in Deutschland den Weg in eine Kinderwunschklinik gleich sparen. Eine künstliche Befruchtung ohne Partnerin oder Partner ist ausgeschlossen. Viele zieht es darum ins europäische Ausland, beispielsweise nach Dänemark oder Belgien, wo künstliche Befruchtungen mit Samenspenden erlaubt sind.
Mit diesen Regelungen nimmt der Gesetzgeber eine klare Bewertung der sexuellen Orientierung vor. Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Denn Formen des Zusammenlebens, die eine Alternative zur traditionellen Heterobeziehung mit Trauschein darstellen, werden als weniger bis gar nicht förderungswürdig begriffen. Daran hat auch die Ehe für alle nichts geändert. Marthe Ruddat
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