: Warum Zeitungen im Gefängnis so wichtig sind
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
bei meinen Besuchen in Hafträumen habe ich aus 30 Jahren nur sehr wenige Zellen in Erinnerungen, in denen Zeitungen zu finden waren. Für Gefangene ist der regelmäßige Bezug einer Zeitung so gut wie unerschwinglich: Viele müssen mit knapp 40 Euro Taschengeld im Monat auskommen – für persönliche Bedürfnisse, die über die regelmäßige Versorgung hinausgehen. Gefangene dürfen die Zeitungen aus Sicherheitsgründen nur direkt vom Verlag beziehen. Deshalb sind die meisten auf Spendenabos angewiesen. Häufig richten die Verlage selbst Abos ein. Manche Angehörige oder Freunde reichen ihr Printabo weiter an Inhaftierte, weil sie selbst nur noch online lesen.
Gefangene haben nach wie vor keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zum Internet. Deshalb sind gedruckte Zeitungen eine wichtige Informationsquelle.
Mehr als das FernsehprogrammDas Bedürfnis nach Informationen, die über den Knast, dessen Alltag sie ja hinreichend kennen, hinausreichen, ist bei vielen Gefangenen groß. Eine Zeitung zu bekommen – das ist nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Nabelschnur, eine persönliche Verbindung zur Außenwelt. Ich teile etwas mit jemandem draußen, mehr als das Fernsehprogramm, das allen zur Verfügung steht und für die meisten über lange Zeit der einzige Blick in die Welt jenseits der Mauern darstellt. Aber die immer hochfrequenter gesendeten Beiträge, Bilder und Kommentare lassen sich schlecht festhalten, nicht wiederholen, nicht vertiefen, nicht überprüfen, obwohl man die Zeit dafür hätte. Zeit für lange Artikel oder Dossiers, die mehr Informationen enthalten als die kurzen Bildunterschriften.
Zeit für Resozialisierung nutzen
Denn Zeit hat man im Knast genug. Viele finden hier zum ersten Mal oder erneut Zugang zum Lesen und Vergnügen daran. Manche nutzen ihre Zeit in Haft sogar für ihre Integration in eine Gesellschaft, die ihnen bis dahin fremd oder gar feindselig erschien. Ein im Irak geborener Insasse hat mir einmal eindrucksvoll vorgeführt, wie er sich drei Fremdsprachen – darunter Schwedisch – angeeignet hat. In allen Ländern, in denen er in Haft war, hatte er Artikel aus Zeitungen, die ihm von Vollzugsbediensteten überlassen wurden, mittels eines Wörterbuchs aus der Gefängnisbibliothek übersetzt und anschließend in alltäglichen Unterhaltungen darüber seine Sprachkenntnisse gefestigt und so nicht nur nebenbei etwas über das Land, seine Menschen, die Politik und den Sport erfahren.
Selbst der Anzeigenteil, in Freiheit eher überblättert, findet bei Gefangenen großes Interesse. Nicht nur Kontaktanzeigen, auch Miet-, Arbeits- und Kaufangebote helfen dabei, Verbindungen aufzubauen und wichtige Erkenntnisse für das Leben nach der Entlassung zu gewinnen. Insofern helfen Zeitungen auch bei der Resozialisierung, weil sie der Hospitalisierung entgegenwirken und erheblich dazu beitragen können, schon während der Inhaftierung ein Leben in eigener Verantwortung mit mehr Bezug zur Realität zu beginnen.
Eine gute Sache: Zeitungen in den Knast spenden
Seitdem nehme ich meine Zeitungen zur gefälligen Weiterverwertung mit in den Knast. Sehe jedes Mal die Enttäuschung in den Augen unseres „Hausarbeiters“, wenn ich sie mal vergessen habe. Sie gleicht etwas der meinen, wenn ich auf einen persönlichen Brief warte, der nicht kommt.
Für die, die nicht so oft ins Gefängnis gehen wie ich, ist ein Freiabonnement an einen Gefangenen zu verschenken eine in vieler Hinsicht gute Sache. Einerseits: emotionale Klammer, Symbol für Teilhabe und auch Handreichung für das Leben draußen. Und andererseits ein wichtiges Bindeglied und Bestandteil der informationellen Freiheit, deren Verlust man häufig erst in Unfreiheit beklagt. Und nebenbei können Sie gewiss sein: Von Ihrem Abo profitiert nicht nur ein Gefangener.
Gerade in diesen Zeiten, in denen wir ohnmächtig mitansehen müssen, wie die Beschränkung der journalistischen Freiheit vielerorts voran getrieben wird oder Information gefälligem Content weichen muss, setzt jede Zeitung, die in ein Gefängnis verschickt wird, auch ein Zeichen: Wissen macht frei !
Joe Bausch
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