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Endlich einmal Freude im Gerichtssaal

Seit April saß die deutsche Journalistin Meşale Tolu in der Türkei im Gefängnis. Jetzt ordnete ein Gericht an, dass sie und 17 weitere Inhaftierte freikommen sollen

„Auch Deniz wird bald rauskommen“

Ali Rıza Tolu, der Vater von Meşale Tolu

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Als die entscheidenden Worte des Richters fielen, ballte die Anwältin der deutschen Journalistin Meşale Tolu vor Freude ihre Hände zusammen, beide Daumen nach oben. Meşale Tolu, die seit April in Istanbul im Gefängnis saß, wurde am Montagmittag vom zuständigen Gericht aus der Haft entlassen.Ihr Vater Ali Rıza Tolu lachte und umarmte Freunde und Unterstützer, die mit ihm vor dem Gerichtssaal gewartet hatten. „Das ist der glücklichste Tag meines Lebens“, sagte er. Seit seine Tochter im April festgenommen wurde, ist Ali Rıza Tolu, der in Ulm lebt, in der Türkei. Regelmäßig besuchte er seine Tochter und machte ihr Mut.

Die gestrige Entscheidung des Gerichts ist jedoch so etwas wie ein „Freispruch zweiter Klasse“, wie einer der amtlichen deutschen Beobachter sagte. Meşale Tolu und die anderen fünf Angeklagten, die jetzt freigelassen wurden, dürfen die Türkei nicht verlassen und müssen sich jede Woche bei der Polizei melden. Die Entlassung aus der U-Haft bedeutet nicht, dass das Verfahren gegen Meşale Tolu beendet ist. Der Prozess gegen sie und die anderen insgesamt 17 Angeklagten wird im kommenden Jahr im April fortgesetzt. Ihr drohen nach wie vor 20 Jahre Haft.

Trotzdem schien für Meşale Tolu gestern ein Albtraum erst einmal zu Ende zu gehen. Es sah so aus, dass sie nach Hause darf, zu ihrem vierjährigen Sohn, der zeitweilig ebenfalls bei ihr im Gefängnis war. Dann dürfte sie auch ihren Mann Suat Corlu wieder treffen, der ebenfalls in U-Haft saß, aber bereits vor einigen Wochen freigelassen worden war.

Der Prozesstag begann, wie viele der Verhandlungen gegen Journalisten, in dem riesigen Istanbuler Gerichtsgebäude in Çağlayan, für die meisten Prozessbeobachter vor verschlossenen Türen. Fast alle türkischen, aber auch ausländischen Journalisten wurden nicht in den Gerichtssaal gelassen, angeblich aus Platzmangel. Dafür durften der deutsche Botschafter Martin Erdmann, die Abgeordnete der Linken, Heike Hänsel, und in ihrem Gefolge auch der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff die Sperren passieren. Per Twitter wurden die wartenden Journalisten draußen von drinnen auf dem Laufenden gehalten.

Erste konkrete Hoffnung kam auf, als bekannt wurde, dass selbst der Staatsanwalt die Entlassung Tolus aus der U-Haft forderte. Trotzdem dauerte es noch gut zwei Stunden, bis das Gericht seine Entscheidung zur Haftentlassung verkündete. Nach einer Pause wurden die Gefangenen wieder in den Gerichtssaal geführt; dieses Mal durften auch alle Journalisten herein, um die frohe Botschaft gleich weiterverbreiten zu können. Von den insgesamt 18 Angeklagten, die alle aus dem Umfeld der kleinen linken Nachrichtenagentur Etha stammen, wurden bereits am vorigen Prozesstag im Oktober zwölf aus der U-Haft entlassen, gestern dann die verbliebenen sechs Angeklagten.

Allen wird die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zur Last gelegt. Meşale Tolu wird vorgeworfen, an zwei Gedenkveranstaltungen für PKK-Mitglieder und an zwei Beerdigungen von Mitgliedern einer verbotenen kommunistischen Partei teilgenommen zu haben. Sie betonte gestern im Prozess erneut, sie sei unschuldig und nur festgenommen worden, weil sie Journalistin sei und damit Druck auf ihre Nachrichtenagentur ausgeübt werden sollte.

Es ist jedoch zu bezweifeln, dass diese Worte den Richter besonders beeindruckt haben. Tatsächlich könnte es wohl so sein, dass Meşale Tolu zumindest auch von dem „Tauwetter“ in den deutsch-türkischen Beziehungen profitiert. Nach der Freilassung von Peter Steudtner, bestätigte gestern auch Botschafter Martin Erdmann, hat sich die Atmosphäre zwischen den beiden Ländern wieder verbessert. Ali Rıza Tolu, der freudestrahlende Vater, wagte gestern sogar noch eine Prognose zu dem deutschen Journalisten Deniz Yücel, der bereits seit gut 300 Tagen in U-Haft sitzt: „Auch Deniz wird bald rauskommen“, meinte er.

Tolu wurde jedoch zunächst nicht wie erwartet vor dem Gericht freigelassen, sondern offenbar von Behördenvertretern mit einem Auto weggebracht. Ihr weiterer Verbleib war bei Redaktionsschluss unklar.

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